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Namibia – Zwischen Vergangenheit und Aufbruch

Während wir in Okondjatu waren, trafen wir auf viele junge Menschen, die von einem besseren Leben träumen – von Bildung, Stabilität und Chancen. Doch zwischen diesen Wünschen liegt ein Land, dessen Geschichte und Gegenwart eng miteinander verbunden sind. Um Namibia heute zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück und zugleich auf das, was gerade geschieht.

Geschichte

Namibias Geschichte ist geprägt von Kolonialismus und Unabhängigkeitskämpfen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Gebiet als „Deutsch-Südwestafrika“ zur Kolonie des Deutschen Kaiserreichs. Zwischen 1904 und 1908 führten die Herero und Nama einen Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft, der brutal niedergeschlagen wurde – ein Völkermord mit verheerenden Folgen.

Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm Südafrika die Verwaltung und führte ein Apartheid-Regime ein. In den 1960er-Jahren begann die SWAPO (South West Africa People’s Organization) den bewaffneten Kampf für die Unabhängigkeit, die 1990 schließlich erreicht wurde. Namibia erhielt eine demokratische Verfassung und trat dem Commonwealth bei.

Ähnlich wie Deutschland durchlief Namibia Phasen der Fremdherrschaft, Teilung und Wiedervereinigung. Beide Länder mussten sich mit den Folgen ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Während Deutschland für seine kolonialen Verbrechen zunehmend Verantwortung übernimmt, kämpft Namibia bis heute mit den sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieser Geschichte.

Politik und Gegenwart

Namibia und Deutschland sind parlamentarische Demokratien mit einer Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative. Beide haben eine Verfassung als Grundlage. In Namibia dominiert jedoch die SWAPO seit der Unabhängigkeit die Politik, während Deutschland ein pluralistisches Mehrparteiensystem mit wechselnden Regierungen hat. Zudem ist Deutschland föderal organisiert, Namibia hingegen zentralistisch – viele Entscheidungen werden in der Hauptstadt Windhoek getroffen.

In diesem Herbst stehen in Namibia Regional- und Kommunalwahlen an und dennoch haben wir keine Gespräche über die Politik mitbekommen und auf unsere Nachfrage hin stießen wir auf mittleres bis geringes politisches Interesse. Einige Menschen, mit denen wir gesprochen haben, gehen gar nicht wählen. „Man muss sich extra registrieren lassen – und wozu? Es ändert sich ja doch nichts“, sagte ein junger Mann. 

Diese Haltung ist nicht ungewöhnlich in einem Land, das seit 35 Jahren von derselben Partei regiert wird. Die SWAPO, einst Befreiungsbewegung, gilt heute vielen als Symbol der Stabilität, aber auch der Stagnation. Junge Menschen wünschen sich mehr Transparenz, wirtschaftliche Perspektiven und politische Teilhabe.

Zwischen Aufbruch und Erinnerung

In Gesprächen über Geschichte und Politik erlebten wir, wie eng beides in Namibia miteinander verbunden ist. Viele Familien tragen die Folgen der Kolonialzeit bis heute, entweder in Form ungleicher Landverteilung, eingeschränkter Bildungsmöglichkeiten oder wirtschaftlicher Abhängigkeiten. Gleichzeitig ist da aber auch eine bemerkenswerte Offenheit für Neues, eine Generation, die kritisch hinterfragt und diskutiert. Wir bemerkten, dass Bildung dabei eine zentrale Rolle spielt, denn Veränderung entsteht vorerst durch Bewusstsein. Zwischen Tradition und Zukunft, zwischen Enttäuschung und Hoffnung wächst eine neue Generation heran, die bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht liegt genau darin die größte Chance: dass Menschen beginnen, an die eigene Stimme zu glauben, ob in der Schule, im Alltag oder bei der Wahlurne.

Katharina & Selina