Es war ein ganz besonderer Dienstag. Kalt und regnerisch. Der südafrikanische Winter machte an diesem Tag seinem Namen alle Ehre. Es stürmte so sehr, dass der Regen gegen die Fenster des USIKO Offices peitschte. Die perfekten Bedingungen für ein dreitägiges Women Empowerment Wilderness Camp in den Bergen. Aber 15 Frauen zwischen 27 und 47 hatten sich dafür angemeldet und waren bereits auf ihrem Weg Richtung Franschhoek. Das Wilderness Camp von USIKO ist ein verpflichtender Teil des Bergzicht Projekts, das Frauen mit sozial schwierigen Hintergründen „life skills“ vermitteln soll, um sie in verschiedenen Lebensbereichen zu unterstützen. Ich wusste bereits bei meiner Bewerbung für ein Praktikum in Südafrika von den Wilderness Camps, aber bis ich an diesem Dienstag beim Packen der Autos half, habe ich nicht gedacht, dass ich wirklich an einem solchen teilnehmen werde. Uns wurde nur gesagt „Zieht euch sehr warm an und bringt so viele Decken und Schlafsäcke mit, wie ihr könnt.“. Ein Glück hatte unsere Gast-Oma Linda genug Decken für uns, sodass meine beste Freundin Sofia und ich mit je fünf Decken und vielen warmen Pullis bepackt waren. Zuvor hatten wir uns noch Thermo Leggings und Socken gekauft, um die wir später wirklich dankbar waren. Isomatten, Einkäufe, Schlafsäcke und Trommeln waren nur ein kleiner Teil unseres Gepäcks und wir machten uns auf in die Berge, nördlich von Franschhoek. Die Gegend ist für ihren besonders feinen Wein bekannt, aber an diesem Tag stand etwas ganz anderes im Fokus. Wir waren nervös. Aber das, was wir dann ab der Ankunft für drei Tage erlebten, hätten wir uns nie ausgemalt. Das Haus, in dem wir, zehn USIKO Mitarbeiter:innen, und die 15 Frauen schlufen, hatte keinen Strom, keine Heizung, keinen Empfang und die Türen zu unseren Zimmern hatten auch keine Scharniere, sodass man sie mit einem Band zuknoten musste, damit der Wind sie nicht wieder aufblies. Schnell wurde uns bewusst, dass die Rahmenbedingungen des Camps alles andere als ein Zuckerschlecken waren, wenn es nicht die härtesten Bedingungen waren, unter denen wir je drei Tage verbracht haben. Aber abgesehen von erbitterlichem Frieren trotz fünf Schichten und diversen Workouts, war die Erfahrung eine der intensivsten und bereicherndsten unseres Lebens. Vielleicht auch unter anderem deshalb… In verschiedenen Übungen ging es am ersten Tag um die Themen „Bonding“ und „Trust“. Die Frauen kannten sich zwar durch ihr Projekt, aber waren noch keine eingeschworene Gruppe und für das, was dann kam, war es wichtig, dass sich alle vertrauten. Durch die verschiedenen Sprachen, wie Afrikaans und Xhosa, wurde während der gesamten Zeit Englisch gesprochen, sodass es keine Sprachbarrieren zwischen den Frauen und uns gab. Am zweiten Tag stand dann das große Solo an. Die Frauen verbrachten drei Stunden alleine in kleinen Zelten verteilt auf dem Camp Gelände und durften in dieser Zeit mit niemandem reden, sodass sie sich ganz auf sich selbst konzentrierten. Die Fragen „Who am I?“, „Why am I here?“, „Where am I heading with my life?“ und „What is it I have to offer?“ standen hierbei im Fokus. In einer anschließenden Wasserfallzeremonie (siehe Foto), durften sich die Frauen die Hände waschen, um einer Person zu vergeben oder von etwas Schlimmen loszulassen. Die Gesprächsrunde danach fand in einem kleinen Kreis statt. Nun durfte jede Frau von ihren Gedanken und Erkenntnissen während des Solos erzählen. Was wir hier miterlebten, ist nicht in Worte zu fassen. Die Frauen erzählten uns von den schlimmsten Schicksalsschlägen. Themen wie körperliche und emotionale Gewalt, Missbrauch, Tod oder der Verstoß durch die eigene Familie waren nur ein paar der Probleme, von denen und die Frauen erzählten. Die Frauen weinten, sangen und umarmten sich. Die Atmosphäre, die hier geschaffen wurde war so traurig und doch so stark und so befreiend, weil viele das erste mal über ihre Vergangenheit sprachen. Es war für viele das erste mal, dass ihnen jemand zuhörte. Das Camp endete mit einem „chair of honour“, bei dem sich die Frauen gegenseitig Komplimente machen konnten und erneut Tränen flossen – diesmal aus Rührung. Das Vertrauen, dass die Frauen sich untereinander, aber auch uns beiden deutschen Frauen entgegenbrachten, war wunderschön und ich bin wahnsinnig dankbar, an diesem Camp teilgenommen zu haben. Es wurde zu meiner härtesten, aber auch besten Erfahrung, die ich in den zwei Monaten Südafrika Praktikum mit USIKO sammeln durfte.