Mein Praktikum neigt sich nun dem Ende zu. In 9 Tagen geht mein Flug zurück nach Deutschland. Ich würde gar nicht sagen nach Hause, denn auch Portugal ist irgendwie zu meinem zu Hause geworden. Ich gehe also mit einem lachenden Auge, weil ich mich auf meine Familie, Hunde und Freunde freue aber auch mit einem weinenden Auge, weil ich meine portugiesische Familie zurücklasse.
Während ich hier in meinem Zimmer sitze und auf meine Zeit in Valongo zurückblicke dröhnt von unten laute Musik rauf, die mein Gastvater gerade hört. Das bringt mich zum Lächeln und ich denke daran wie sehr es ihm Spaß macht mich immer zu veräppeln. Er erzählt mir immer viele interessante Geschichten und hat ein sehr herzliches Lachen. Seit einem halben Jahr leben hier außerdem seine Tochter und Enkelin. Innerhalb kürzester Zeit haben wir uns gegenseitig sehr ins Herz geschlossen und abends bevor ins Bett gehen gibt’s immer noch eine Umarmung und ein Beijinho (Küsschen). Ich bin unglaublich dankbar, dass ich mich hier nicht wie eine Fremde fühle, die auf Zehenspitzen durchs Haus schleichen muss, sondern drei Menschen habe, deren Gesellschaft ich sehr genieße. Wir saßen oft gemeinsam am Küchentisch und haben uns während dem Essen unterhalten und gelacht. Nicht selten auch wegen Nini, ihrer Katze. Die ist nämlich das verfressenste kleine Kätzchen, dem ich je begegnet bin und ist immer am Start, wenn der Kühlschrank geöffnet wird, an der Arbeitsplatte gekocht oder am Tisch gegessen wird. Wenn es ums Essen geht ist sie immer da und versucht „ihre“ Portion zu stibitzen. Das gelingt ihr auch ab und an. Sogar vor unseren Wassergläsern macht sie nicht halt, wenn sie Durst hat.
Wir haben gemeinsam Filme geschaut, Sport gemacht und meine Gastschwester und ich waren am Wochenende oft in Porto feiern. Außerdem gibt es hier in Valongo ein Lokal (Esplanada), in dem sich abends jung und alt treffen, trinken, lachen und quatschen. Mir wurde erzählt, dass das schon immer so war und vermutlich auch immer so bleiben wird. Die vorherige Generation ging hier hin, sie geht hin und auch ihre Tochter wird mit ihren Freunden einmal hier hingehen.
Außerdem mit von der Partie sind ein junger Hund namens Tobias, Nini (wie schon erwähnt) und ganz frisch auch ihre drei Babies. Sie kamen ca. nach der Hälfte meiner Zeit hier und ich konnte alle ihre ersten Male miterleben. Erster Tag auf dieser Welt, erstes Mal Augen öffnen, erstes Mal trinken, größer werden, erste wackelige Schritte und die ersten Kabbeleien unter Geschwistern.
An den Wochenenden waren wir auch manchmal bei der Mutter meiner Gastschwester. Sie lebt in Matosinhos am Strand und ist auch nie alleine, weil sie die Zimmer in ihrer Wohnung an Menschen aus der ganzen Welt vermietet. Auch sie ist wie alle anderen hier eine sehr herzliche Person und kann sogar Deutsch sprechen, da sie es in der Universität gelernt hat, um es später zu unterrichten. Deutsch wurde dann allerdings aus dem Lehrplan gestrichen und sie kam nie dazu. Jetzt üben wir zusammen, indem sie mit mir auf Deutsch redet und ich mit ihr auf Portugiesisch. Obwohl sie die Sprache über 20 Jahre nicht gebraucht hat, kann sie sie besser sprechen als ich Portugiesisch.
Wenn ich weder in der Schule war, noch Zeit mit meiner Gastfamilie oder meiner Betreuungslehrkraft verbracht habe, bin ich gerne spazieren gegangen. In Valongo und auch den umliegenden Gegenden stehen noch einige alte offene Waschküchen und manchmal stehen dort auch Einheimische und plaudern beim Wäsche waschen. Wenn ich etwas mehr Zeit hatte, habe ich auch gerne den Zug nach Porto genommen (ca. 8 Minuten zu Fuß zur Bahnstation und 20 Minuten Fahrt). In Porto kann wunderbar ganze Tage alleine verbringen und sich wohlfühlen. Überall gibt es etwas zu sehen: Stände, an denen heiße Maroni verkauft kann man schon von weitem an dem starken, weißen Rauch erkennen. Hier und da läuft einem ein Harry Potter oder eine Hermine über den Weg, denn die Studenten habe hier teilweise ihre Uniform an, und damit sehen sie aus als kämen sie direkt aus Hogwarts. Es gibt viele Läden, viele Menschen und auch viele Möwen. Perfekt, um sich treiben zu lassen und vom Flair der Stadt eingehüllt zu werden.
Nun zu dem Grund, weshalb ich und wahrscheinlich die meisten ein solches Praktikum machen: Die Schule.
In Valongo und Umgebung gibt es 5 Schulen, die eine Gemeinschaft bilden und zusammengehören. An drei dieser Einrichtungen waren wir regelmäßig. Darunter zählten ein Kindergarten/Vorschule und ein Kindergarten/Grundschule in Sobrado und die Sekundarschule in Valongo.
Mit den Kleinsten sangen wir Lieder und malten. Hier ging es für die Kinder hauptsächlich darum mit der englischen Sprache erstmals in Berührung zu kommen. In der Grundschule, gab es schon richtigen Englischunterricht. Es ist eine sehr kleine Klasse mit nur 7 Kindern, die alle Altersstufen von der ersten bis zur vierten Klasse abdecken. Die Lehrerin spricht hauptsächlich auf Englisch mit ihnen und es werden jahreszeitlich passende Themen behandelt. Und wenn irgendwelche Festivitäten anstehen, werden diese immer in den Unterricht integriert. Zu Halloween haben wir beispielsweise Dekoration gebastelt und die Vokabeln für ihre Kostüme gelernt. Und diese Woche dreht sich alles um Sankt Martin.
Die Geschichte wird hier ein bisschen anders erzählt als in Deutschland. Bis zu der Stelle, an der Martin seinen Umhang in Zwei teilt ist alles gleich. Hier in Portugal wird die Geschichte aber wie folgt weiter erzählt: Nachdem Martin seinen Umhang mit dem armen, frierenden Bettler geteilt hatte, verwandelte sich das zuvor kalte und stürmische Wetter und die Sonne kam raus und blieb für ein paar Tage. Dies geschah aufgrund der guten Tat von Sankt Martin und wird hier als „verão de Sao Martinho“ bezeichnet, also der Sommer von Sankt Martin. Denn um diese Zeit kommt in Portugal oft nochmals die Sonne für ein paar Tage raus und bringt den Sommer noch einmal kurz zurück. Außerdem dreht sich am Sankt Martinstag alles um Kastanien, die dann in allen Möglichen Variationen gegessen werden.
In der weiterführenden Schule unterrichtet meine Betreuungslehrkraft zwei 11. Klassen. Ich habe das Gefühl das „Machtgefälle“ zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen ist hier nicht so groß. Einerseits ist das schön, weil ein sehr familiäres Klima herrscht. Die Jugendlichen kommen uns schon vor Unterrichtsbeginn entgegen und erzählen meiner Betreuungslehrkraft beginnend mit „Hey teacher“ irgendwelche Neuigkeiten. Andererseits herrscht auch immer ein gewisser Lautstärkepegel und Ablenkung in der Klasse. Es liegt also ziemlich in der Hand der Schüler*innen, ob sie aufpassen und fleißig mitarbeiten oder eben nicht. Die meisten folgen dem Unterricht auch konzentriert. Das Gefühl habe ich zumindest. Aber es ist wie es in solchen Situation oft ist: Die wenigen Quatschköpfe bestimmen den Eindruck der ganzen Klasse. Zumindest für mich als außenstehende Person. Ich habe jedoch den Eindruck, dass das Klassenklima sehr gut ist und sich die Jungen und Mädchen untereinander alle gut verstehen. Inwiefern sich das von deutschen Klassen unterscheidet kann ich aber weniger gut beurteilen, da ich Grundschullehramt studiert habe und deshalb seit meiner eigenen Zeit (und das nimmt man ja immer anders war :D)in der Schule nur in Grundschulen tätig war.
Zum Schluss möchte ich gerne noch eine Sache teilen, die mir hier in Portugal schwer gefallen ist und eine Sache, die ich lieben gelernt habe. Und das Beides oft gar nicht so weit auseinanderliegt.
In einer Sache bin ich typisch Deutsch: Nämlich Pünktlichkeit. Wenn ich nicht 5 Minuten vor der ausgemachten Uhrzeit da bin, bekomme ich schon Stresspickel. Bei anderen Personen bin ich schon etwas großzügiger als bei mir selbst aber ohne Mitteilung einfach zu spät kommen…. Geht gar nicht. 😀
Deshalb bestand mein Alltag hier sehr häufig aus warten, warten und warten. Moment, hab ich ich warten schon gesagt? Ich glaube Pünktlichkeit habe ich hier (außer bei den Zügen, die deutsche Bahn nehme sich ein Beispiel) nie erlebt. Eigentlich ganz charmant wenn man ein bisschen südländisches Blut in sich trägt (hab ich dann wohl nicht), nicht aber wenn man draußen im Regen steht und sich eine halbe Stunde die Gliedmaßen abfiert. Aber alles halb so schlimm, denn das gehört hier einfach dazu. Eine ausgemachte Uhrzeit ist eher so ein ungefährer Anhaltspunkt. Selbst Schuld, wenn ich immer überpünktlich bereit stehe. 😀
Was ich hier liebe ist die Gelassenheit. Die Menschen haben noch Zeit, beziehungsweise nehmen sie sich. Sie hetzen nicht ständig durch die Gegend und verpassen dabei all die schönen Kleinigkeiten des Alltags. Sie unterhalten sich entspannt mit der Kassiererin, bleiben an der Mautstation stehen und suchen dann ganz in Ruhe nach passendem Kleingeld ihrem Geldbeutel, den das Kind erst rauskamen muss, sie machen Pläne und verwerfen sie dann, weil sich eben ganz spontan etwas Schöneres ergeben hat. Sie schauen nicht ständig auf die Uhr in der Angst etwas zu verpassen oder schon wieder zu spät dran zu sein. Die Portugiesen leben mehr nach ihrer eigenen Uhr, als nach irgendeinem Metallding um ihren Arm.
Wie man sieht geht der eine Punkt aber nicht so gut mit dem anderen einher… Trotzdem, ich liebe diese Eigenschaft der Portugiesen! Diese und noch so viele mehr!