Ghana,  Sega

Sega – Irgendwo im Nirgendwo

Mitten in der Nacht kommen wir in Sega an. Leider hatte Helenas Flug eine Stunde Verspätung. Mit der süßesten Ananas und leckersten Papaya warten wir gemeinsam mit Godwin, unserem Headmaster, bis Helena den Hitzeschwall der überdachten Ankunftshalle zu spüren bekommt. Zwei Stunden Fahrt später, müde und kaputt, fallen wir in unsere bequemen Betten. Gerade als ich die Augen schließen möchte, spüre ich eine seltsame Bewegung unter meinem rechten Fuß. Ich schrecke auf. „Was ist das?“, Langsam versuche ich mit den Verursacher der Bewegung ausfindig zu machen. Ein weißer Gecko verliert erst vor Schreck seinen Schwanz und dann seinen warmen Schlafplatz, als ich ihn aus meinem Bett befördere. Ich bin mir nicht sicher wer mit dem kleineren Schrecken davonkam. In den mit WC, Dusche, Kleiderschrank, Schreibtisch, Bett mit Moskitonetz und Ventilator ausgestatteten Zimmern sind „lebhafte“ Mitbewohner keine Seltenheit. Aber man gewöhnt sich schnell daran. Strom und Wasser laufen wie unser Schweiß, fast durchgehend.

Das Dorf liegt ab vom Schuss, wohl mehr Ziegen, Hühner und Puten (wie wir in aller Herrgottsfrüh zu hören bekommen) als Menschen. Für die jüngsten Dorfbewohner sind wir „Blefonos“ eine willkommene Abwechslung und wir werden von allen nach und nach herzlich begrüßt und willkommen geheißen.

Nach einem leckeren Frühstück der Haushälterin, Betty, starten wir gemeinsam mit Godwin zur fünf Minuten entfernten Schule. Stolz erzählt er von seiner Schule, die er vor 15 Jahren im Alter von nur 24 Jahren gründete und die mittlerweile aus Primary School, Junior und Senior High School besteht und daneben noch ein Internat für Schüler beherbergt. Bibliothek und ein weiteres Schulgebäude sind noch im Bau und werden das weitläufige Gelände weiter aufwerten. Nachdem alle Förmlichkeiten und Höflichkeiten mit den Lehrern und Lehrerinnen ausgetauscht sind, wagen wir den ersten Schritt ins Klassenzimmer und hospitieren in verschieden Klassen. Basti und Helena in den Klassen 1-6 der Grundschule und ich in den Klassen F1 bis F3 der Junior High School. Doch was wir zu sehen bekommen ist etwas ernüchternd. Geregelter Unterricht? Fehlanzeige. Denn die meisten Schüler sind noch nicht aus den Osterferien zurückgekehrt und nur die wenigen Schüler aus dem Internat und den nahen umliegenden Dörfern sind anwesend. Deshalb verbringen die Schüler ihre Schulzeit mit Maisfelder anpflanzen, Schulgelände bepflanzen, Babysitten oder einfachen Übungs- und Wiederholungsaufgaben. Wir verfallen in eine kleine Depression und fragen uns wie wir die nächsten 10 Wochen so überstehen sollen und beginnen zum Trost mit der Reiseplanung für das anstehende Wochenende.

In den nächsten Tagen klären uns die anderen Lehrer und Godwin auf, dass der geregelte Unterricht erst ab nächsten Montag beginnt und dann auch wieder mehr Schüler anwesend sein werden. Auch stellen wir schnell fest, dass irgendetwas im Stundenplan fehlt bzw. nur im kleingedruckten zu finden ist. Sport wird, gleich wenn sich die Schüler vor allem für Fußball sehr begeistern können und eine enorme Bewegungsfreude an den Tag legen, nur einmal wöchentlich unterrichtet. Da keiner der Anwesenden Lehrer eine vergleichbare Sportlehrer-Ausbildung oder ähnliche sportliche Vorerfahrungen mit sich bringt erklären wir uns bereit einen Sport-Lehrplan und Stundenplan für die Schule zu entwerfen. Das sollte zusammen mit dem Fußballprojekt und den Unterrichtstunden, die wir, Helena, Basti und ich, in Maths, English, Science, French, Creative Arts übernehmen, genügend Arbeit erzeugen um unsere Malarone-trunkenen, lernbedingt überlastungsgewöhnte Gehirne am Laufen zu halten.

Mittwoch: 09.05. Ausflug nach Marantha Beach

Nach der Schule stellen wir uns an die einzige „große“ Straße des Ortes und warten auf ein Motorradtaxi, welches uns ins nächstgrößere Dorf bringt. Für 10 Cedi (ca. 2€) fahren uns Jugendliche auf ihren alten, aber meist zuverlässigen Mopeds zur Tro-Tro Station in Kasseh, von wo aus wir ein Taxi Richtung Ada nehmen und von dort wieder mit dem Motobike über schlaglochübersäte und durch verwinkelte, enge Gassen fast direkt an den Strand in Marantha Beach gefahren werden.

Am wunderschön gelegenen Strand, an der Mündung des Volta ins offene Meer macht Helena Bekanntschaft mit ihrer ersten Liebschaft des Urlaubs. Sandflys. Die Andenken des verhängnisvollen Intermezzos trägt sie noch heute mit sich. Wir baden im fast kochendem Wasser des Volta, essen Ananas und bestaunen die unglaublich starke Strömung im Mündungsbereich. Das Beach Resort hat die besten Zeiten wohl schon hinter sich, denn sonderlich sauber und attraktiv kommt das Gelände nicht daher, auch wenn die buntbemalten Bäume und Hängematte eine entspannte und chillige Atmosphäre vermitteln.

Donnerstag: 11.05. Back to Accra

Da sich der Unterricht eine schwerwiegende Verletzung zuzieht und für die kommenden Tage ausfällt, gibt uns Godwin für die nächsten Tage frei. Nach dem Lunch machen wir uns deshalb auf Richtung Accra. Von Kasseh aus fahren wir durch teilweise dichten Verkehr eine Stunde nach Tema, steigen um und kommen nach nochmaligem Umsteigen ins Taxi im Stadtteil Osu am Nachmittag an. Gesamtkosten ca. 60 Cedi für 3 Personen.

Wie schon auf der Anfahrt leiten uns nun auch freundliche Ghanaen den Weg zum Hostel der Salvation Army, welches vor allem durch günstigen Preis, aber auch zufriedenstellende Ausstattung (Dusche, WC, AC) und nette Mitbewohner punkten kann. Ein Anlaufpunkt für alle Backpacker und preisgünstig Reisenden.

Nachdem der Reisedreck der staubigen Straßen Accras abgewaschen ist, machen wir uns auf den Weg zum Osu Night Market. Dort lernen wir Michael kennen, der uns die folgenden Tage durch Accra führen wird. Er ist es auch, der uns typisch ghanaisches Essen von den verschieden Ständen zusammenträgt und den leckersten Fisch auftischt. Unglaublich aber wahr, treffen wir unter den 2,5 Millionen Einwohnern Accras genau einen den wir auch schon eine Woche zuvor in Kokrobite kennengelernt haben. Nelly und sein Kumpel Conquer laden uns für Samstag auf eine Feier ein. Danach lassen wir den Abend in zwei offenen Straßenbars der Oxford Street (Eyes Right) mit Bier und Kebab ausklingen und freuen uns endlich wieder mehr Menschen als Ziegen zu sehen. Da wir die Nachtruhe um 22 Uhr im kirchlich geführten Salvation Army fälschlicherweise als letzte Möglichkeit des Eintritts auslegen machen wir uns früh auf den Heimweg und genießen noch ein „Club“ im Hostel, das berühmte Bier zu viel.

Freitag, 12.05. Accra at its best

Accra ist immer für eine neue Überraschung gut. Nach Bread&Egg um unsere lädierten Mägen zu rebooten machen wir uns auf dem zum Makola Market umd Helena in die bunte Welt der 1001 Waren einzuführen. Wir verlieren uns zwischen Schmuck, Stoff und Schnaps und vielen anderen Waren. Bling Bling, Obrini Obrini, Water Water. Drei Stunden kämpfen wir uns durch den nicht enden wollenden Markt und entdecken auf der Suche nach Fußballschuhen einen wahren Schatz. Einen fast nagelneuen Copa Mundial von Adidas für keine 20€. Fußballliebhaber wissen wovon ich rede. Als wir des Shoppens müde werden, setzen wir uns in ein Taxi und lassen uns zum Castle Christiansborg fahren. Entgegen anders lautender Behauptungen können wir das Castle sogar von innen besichtigen und werden von einem Guide durch die ehemalige Sklavenburg und Regierungssitz geführt, der uns mit seiner interessanten Führung die Geschichte Ghanas und Accras eindrucksvoll näher bringt. Nach knapp einer Stunde verabschieden wir uns mit einer kleinen Spende vom Guide und verweilen noch eine Weile in der Nähe des Castles im Schatten um uns von unserem laufintensiven Vormittag zu erholen.

Zu Abend lassen wir uns ein ghanaisches Restaurant empfehlen in dem wir Banku, Ghana Soup with Fish and Ocra Stew probieren. Sehr scharf, aber auch sehr lecker. In der teuren Gegend der Oxford Street genießen Basti und ich einen Gold Coast und Helena eine Royal Bitch Cocktail in einer überteuerten „Roof Top“ Bar. Auch unsere erste Rumkokosnuss schlürfen wir an diesem Abend, doch müde vom anstrengenden Tag gehen wir früh ins Bett.

Samstag, 13.05. Wie viele Gesichter hast du, Accra?

Vormittags treffen wir Michael wieder in der kleinen Oxford Mall und ich lasse mich überreden meine wallende Mähne von einem ghanaischen Friseur stutzen zu lassen wie eine Hecke. Schweißgetränkt verlasse ich den Laden, drei Euro ärmer und mit lädiertem Haarschnitt. Auf dem Accra Market an der Tema Station, eine Art Flohmarkt, macht sich Helena auf die Suche nach einem Schal für ihre verbrannten Schultern und wir finden noch günstige Torwartschuhe für die Kids und Ghana-Trikots für Basti und mich. Als Michaels zarte Annäherungsversuche etwas zu touchy und zu ungewöhnlich werden, verabschieden wir uns höflich von ihm und fahren mit dem Tro-Tro zur Marina Mall. Ein weiterer runtergekühlter Komplex voller europäisch eingerichteter Shops und Restaurants. Unspektakulär.

Wiederum mit dem Tro-Tro machen wir uns auf den Weg nach James Town und besichtigen das rot-weiße Lighthouse und das dahinter gelegene Jaynii Streetwise Center, ein Zufluchtsort für Waisenkinder, in dem wir ein kühles Sprite im Schatten genießen und so vor der prallen Sonne flüchten.

Den Abend verbringen wir mit ein paar Leuten aus dem Hostel zunächst in der Container Bar und lassen uns dann von Conquer in einer Bar, die den Namen „Cool Box“ aufgrund ihrer 16° verdient hätte, zur Feier seines Geburtstages einladen. Der Temperatursturz lässt uns Deutsche am ganzen Körper zittern, den Ghanaen dagegen zittern nur die Lachmuskeln.

Sonntag, 14.05. Labadi Beach

Den Sonntag verbringen wir in der Touristenfalle Labadi Beach. Überteuerte Strandbars und Restaurants, ständige Bettler und Souvenir Verkäufer, Pferdereiten, Quadfahren, Surfboard Verleih, knallbunte Sonnenschirme, Hundewelpen zum Verkauf, Fotos mit echten Schlangen. Wir waren wirklich genervt von alledem und werden dort auf keinen Fall ein zweites Mal aufschlagen.

Conquer, der uns spontan besuchte, fährt uns dankenswerter Weise zurück zur Tema Station, von wo aus wir den Heimweg antreten. Diesen beenden wir nach kurzer Irrfahrt durch die Stadt Tema pünktlich mit Sonnenuntergang zurück in Sega. Die freundlichen Ghanaer und Tro-Tro Fahrer stehen stets zur Hilfe und leiten meist fehlerfrei zum Zielort, Ausnahmen bestätigen die Regel.

Montag, 15.05. Erster richtiger Schultag

Wir starten mit dem ersten eigenen Unterrichtsstunden und freuen uns endlich loslegen zu duerfen. Wir sind angekommen…

Mehr ueber unsere Arbeit in der Schule erfahrt ihr im naechsten Beitrag. Bis dann.

Basti, Helena und David