Ghana,  Sega

A normal day in school…

Es ist 5:30 Uhr und ich wache schweißgebadet auf. Der krähende Hahn übertönt den ausgefallenen Ventilator. Ich öffne meine Augen und es riecht schon wieder nach Ziege. Die Sonne geht auf, aber Lights Off. Schlaftrunken blicke ich auf meine Handy, die WhatsApp-Nachrichten von gestern Abend wurden immer noch nicht gesendet, dafür haben mich die Lebensgeister der Dorfbewohner schon erreicht. Ich vernehme mit müden Blicken und rausgefallenen Oropax noch träges Treiben und trächtiges Gackern. Am liebsten würde ich diesem Hahn und dem elendigen Putenviech eigenhändig die Hälse umdrehen, doch das werden in den folgenden Tagen die Hunde für mich erledigen. Ich schlurfe zur Dusche und genieße die Kühle des 25° warmen Wassers auf meinem Gesicht. Guten Morgen, Ghana.

Während ich noch einige Aufgaben für den bevorstehenden Unterricht vorbereite bedeckt Haushälterin Becky mit ghanaischer Gemütlichkeit den Frühstückstisch im Wechsel mit Porridge, Pancakes, frischem Obst und Bread&Egg. Bastian, Helena und ich schlürfen noch den viel zu heißen Kaba-Verschnitt und machen uns wie jeden Tag mit einigen (unverschuldeten) Minuten Verspätung hastig auf Richtung Schule. Wir sammeln „ey Blefono, o samenya“ (Guten Morgen, Weißer. Wie geht’s dir?) von den Nachbarn wie damals Fußball Panini-Sticker und kämpfen uns mit zehn Kindern an zehn Fingern durch die Pre-School und den Kindergarten zur Primary und Junior High.

Wir trennen uns. Doch es fließen keine Tränen, nur der Schweiß. Die Sonne scheint hier um 7 Uhr schon so stark, als gäbe es kein Halten mehr. Völlig losgelöst von der Erde schwebt das glühende Raumschiff Tag für Tag hoch über unseren blonden, braunen und rostigen Schöpfen. Im Schutze der schattigen Klassenzimmer weht ein kühlender Wind durch glasbefreite Fensterrahmen, der die Arbeit mit den Schülern am Vormittag wie im Flug vergehen lässt. Vector A plus Vector B. One boy, three boys. Floppy Disc und CPU. Bei Mathe, Englisch und I.C.T (Information and Communication Technology) vergeht nicht nur manch schwache Schülermotivation sondern auch unser Glauben an irgendetwas, das wir unter dem Begriff „Fortschritt“ verstanden. Unterrichtsmaterial nicht vorhanden. Bücher veraltet und zerfledert. Unterrichtsmethoden eintönig bis fad. Wie soll damit kindgerechter und interessanter Unterricht gestaltet werden? Wir lassen uns anstecken. Ich von leichtem Fieber und einer Erkältung und wir alle von den aus Mangel an Ressourcen entstandenen Unterrichtsmethoden. Wir wissen es doch besser und können es auch toller. Doch ohne Drucker, Laptop, Beamer, OHP, Arbeitsblättern, neuen Büchern, Internet, Stiften, Blättern möchte ich einen einzigen Lehramtsanwärter sehen, der so seine Lehrprobe im Referendariat besteht. Es ist einfach nicht dasselbe und schon gar nicht das gleiche. In homöopathischen Dosen verschreiben wir den Schülern und Lehrern den einen Lernkniff und die andere interessante Lehrmethode und machen uns pünktlich wie die Maurer in der Mittagshitze auf zum Lunch. Drei Handwerker-Portionen (Fried Yam oder Potatoes, Nudeln, Reis mit Salsa, Blättersauce mit Fisch oder Hühnchen) später präsentieren wir unsere glänzenden Nabel in der prallen Sonne, nuckeln am Plastiktüten-Wasser und lutschen am Strawberry-Joghurt. Erotischer wird’s nicht mehr.

In perfekter Symbiose wirkten Accras Schmutz und unser Schweiß wie Bonnie in unserem Clyde. Vielleicht war es aber einfach die Mischung der großen hellen und der kleinen braunen Hände im trüben, schäumenden Seifenwasser, die unsere ehemals weißen Shirts im Nachhinein gut und gern als Cappuccino verkaufen ließe. Beim nächsten Mal dann Blendadent. Für ein strahlendes Weiß. Getrübt, wie unsere gewaschenen Shirts fahren wir nach Kasseh zum Markt. Ja, und auch je dunkler wir werden, desto weniger werden wir von aufdringlichen Händlern, Taxifahrern und fotogeilen Snapchat-Jägern belästigt. Eine angehnehme Erleichterung bei der Schlenderei über den Markt und auf dem Gang zum Schneider bei dem wir uns des Kaisers neue Kleider fertigen lassen. Der Stoffkauf gestaltet sich zwar nicht so leicht, aber vor Ende des Tages bestellen Bastian und ich zwei neue maßgeschneiderte Hemden und Helena ein neues Lieblings-Top für umgerechnet 8€ pro Person. Da das Netzwerk des Internetcafés heute am Strand von Ada liegt und sich eine Auszeit gönnt, können wir unsere organisatorischen Dinge nicht erledigen und fahren nach Malta (Malz-Energie-Drink), Mango und mit Motorbike (3 Cedi p.P.) wieder ins sonnenuntergangsgetränkte Dorf Sega zurück.

Es ist dunkel. Draußen die Sonne und drinnen die Lichter. Mit Handylicht vertreiben wir uns die Zeit bis zum Abendessen mit einer Runde Kniffel. Gerade als ich einen lupenreinen Kniffel werfe, schreit Helena erschrocken laut auf und duckt sich unter den Tisch wie ein verängstigtes Kätzchen. Glühend, hellweiße Augen schweben über dem Tisch und starren aus dem endlos, schwarzen Nichts genau zu uns. Godwin, der lautlos wie ein schwarzer Panther angeschlichen kam, beobachtet unser Spiel. Wir lachen lauthals los und fragen uns noch leicht erschrocken: „Wer hat wirklich Angst vorm schwarzen Mann?“

Um es in drei Monaten mit anderen schwarzen Männern, den Beach-Boys von Kokrobite aufnehmen zu können, verausgaben sich Basti und ich nach dem wieder mal turmhohen Abendessen mit einem Fitness Twerk-Out, während Helenas Gedanken irgendwo zwischen klarem Sternenglanz und flackernden Raucherschwaden schon um den nächsten Wochenend-Trip kreisen. Frisch geduscht kuscheln wir uns danach gemeinsam ins Bett. Monaco Franze, der ewige Stenz, bringt uns ein Stückchen Heimat in die Stube und lässt uns träumen von all den Lieben, die zuhause sitzen und dies lesen, die sich freuen und auch sorgen, die jetzt vielleicht erstaunt die Stirne runzeln oder doch leise, über diesen Beitrag schmunzeln.

 

[19.05 – 21.05] Koforidua – Hauptstadt der Eastern Region

Es ist 20:30 Uhr und ich wache mit Gänsehaut auf. Die Klimaanlage des ausnahmsweise komfortablen Tro Tros (14 Cedi p. P. ab Tema Station) erledigt während der staubedingt sechsstündigen Anreise von Sega via Accra ihre Dienste derart gewissenhaft, dass mir die Haare zu Berge stehen als wir in Koforidua ankommen. Nicht nur auf meiner Haut sondern auch um die Hauptstadt des Ostens erheben sich nun im Gegensatz zur flachen Einöde unseres Örtchens Sega, tatsächlich so etwas wie Berge, von denen man laut Reiseführer (Jojo Cobbinah) einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und die Umgebung hat. Bastian und mich zwickt der Hunger im Magen und wir erlösen ihn mit Banku (knödelartiger Teigbatzen, leicht säuerlich im Geschmack und sehr sättigend) und leckerem Fisch mit Pepper (eine rote Soße aus grünen Paprikaschoten und Tomaten) von der Straße, wovon wo aus wir uns mit dem Taxi zum Mama Aisha Guest House im Wohnviertel Old Estate chauffieren lassen. Nach freundlichem Empfang checken wir in dem sehr günstigen Hostel ein und genießen unser wohlverdientes Wochenend-Bierchen auf dem hoteleigenen Parkplatz bevor wir uns nach einer Eimerdusche in unsere moskitonetzbefreiten Betten mummeln.

Am Samstag machen wir uns recht früh auf die Suche nach etwas frühstückbarem in der entspannten Atmosphäre der Innenstadt und begnügen uns nach minutenlanger Suche wie so oft mit (Ratespiel: Auflösung am Ende des Beitrags)_____&_____? Mit etwas Proviant im Gepäck machen wir uns auf die Suche nach einem Tro-Tro Richtung Boti Falls. Als wir den schäbigen, rostigen, gerade-noch-funktionstüchtigen, mit-mensch-huhn-haushaltswaren-vollgepackten Kleinbus finden, der uns direkt vorm Eingang der Boti Falls droppt, bezahlen wir geschwind 13 Cedi p.P. und machen uns auf eine holprige Fahrt durch grünes dschungelähnliches Gelände und durchfahren Dörfer, die zu 90% aus Reklamehäuschen der Firma Cowmilk bestehen. An den Boti Falls begrüßt uns unsere erste Kakaofrucht, deren glibberigen, süßen Samen etwas anderes zu Fruchte tragen, als wir erwartet hätten. Denn die von einer weißen Schlonze umgegeben Samen oder Kerne werden lediglich gelutscht und der bittere Kern danach ausgespuckt. Mit leicht flauem Gefühl im Magen treten wir, von 110 Cedi erleichert (80 Eintritt + 30 Fotoerlaubnis), durch die Eingangspforte der Boti Falls. Nach einem kurzen Vortrag des Guides, bei dem auch eine große muslimische Schülergruppe mango-leckend die Ohren spitze, machen wir uns mit ein paar Minuten Vorsprung auf den Weg durch das Dickicht des Dschungels, vorbei an natürlichen Höhlen auf zum Umbrella Rock. Eine wahrhaft imposante, natürlich geformte Steinformation, mit grandiosem Ausblick über das umliegende Grün. Schnell schießen wir ein paar Fotos, bevor die Schüler an uns vorbeischießen und die Idylle des fast heiligen Moments mit lautem Gekicher, Gegacker und einer Menge an Mangoschalen und leeren Plastikflaschen verwüsten. Am Wegesrand säumen sich unzählige Plastikabfälle, den unbedarfte Touristen ahnungs- und rücksichtslos zurückließen. Umweltbewusstsein. Fremdwort. Weniger spektakulär aber dennoch der Teil der ca. 45 min dauernden Tour ist der dreiköpfige Palm Tree. Die vermeintlichen, zusätzlichen Eintrittspreise zur Besteigung des Umbrella Rocks und zur Besichtigung des Baumes sollte man nicht ernst nehmen, doch muss man verstehen, dass die Urwald Bewohner einfach nur eine kleine Scheibe vom dicken Vollkornbrot des mit Trekking-Schuhen ausgerüsteten Touristen abhaben wollen und deshalb ein kleiner Obolus oder ein Kauf von Mangos gern angenommen wird. Wir halten es noch gut im kühlen Schatten des Regenschirm Steins aus um uns vom Schweißtreibenden Aufstieg zu erholen und machen uns erst einige Zeit nach der Gruppe auf den Rückweg zum Wasserfall. Der über dreißig Meter hohe Wasserfall besteht laut Guide nach Überlieferung der Bevölkerung aus einem weiblichen und einem männlichem Flussarm und sammelt sich in einem erstaunlicherweise sehr kühlen, flachen und regenzeitbedingt trüben Wasserbecken. Doch nachdem wir uns kurz abschrecken, lassen wir uns nicht abschrecken und stürzen uns gemeinsam mit den teilweise vollbekleideten Jungs und Mädels in die Fluten. Wir posieren wie einst Freddie Ljungberg, CR7 und Heidi Klum für die Snap- und Instagroupies und räkeln uns auf klitschigen Felsen unter tosendem Wasserrauschen. Erotischer wird’s nicht mehr.

Ob das bei euch auch so geil ist? I doubt it!

Nach dem feucht-fröhlichen Badevergnügen füllen wir unsere geleerten Kohlehydratspeicher mit unfassbar lecker belegten Avocado Broten und eisgekühlter Coca-Cola auf. Zurück in Koforidua schlabbern wir noch fluchs eine King Coconut und steigen mit den ersten Regentropfen ins nächstbeste Taxi und kommen mit donnerdem Regenschauer im Hostel an, wo wir die nächsten drei Stunden den abermaligen Wasserfall absitzen. Hunger macht sich breit im Jungszimmer und nach Empfehlung des Rezeptionisten stolpern wir etwas underdressed über die Türschwelle des Lindador, dem ersten „richtigen“ Restaurant in dem wir in Ghana speisen. Wir frösteln bei runtergekühlten 27°, aber das Essen und vor allem der Service sind gut. Bei den Big B‘s: „Beer, Bitter, Bar“, lernen wir Lehrer George kennen der uns für Sonntag nach Hause zum Essen einlädt, wir nehmen dankend an und lassen uns zu fortgeschrittener Stunde von ihm nach Hause chauffieren. Müde fallen wir in unsere Betten.

Am nächsten Morgen habe ich erste Anzeichen einer schwerwiegenden Krankheit. Männergrippe. Kopfweh und Halsweh. Herzlichen Dank. Wasserfall und Klimaanlage. Alles halb so schlimm. Etwas übermüdet begeben wir uns auf Hosensuche für Helena in die Stadt wo uns George zufälligerweise aufgabelt. Nach Besorgung der Hose begleitet er uns zu seinem für ghanaische Verhältnisse luxuriösem Haus. Wir lassen uns etwas uninspiriert aufs Sofa setzen und werden die nächsten zwei Stunden mit dem wohl schlechtesten ghanaischen Fernsehsender Joy Prime gefoltert, der mit Corazon Valiente eine TV-Episode ausstrahlt, welche mit Liebe, Sex, Krimi, Intrigen, Kinder und Familie wohl alle Sparten der RTL Sitcoms zusammenfasst und eine schrecklich schauerhafte Vorstellung von gescheiterten Hollywood-Bordsteinschwalben darbietet, die einfach nicht zu unterbieten ist. Dachten wir zumindest. Doch dazu ein andermal mehr…

Wir zweifeln etwas an unserer Entscheidung und bemühen uns nicht allzu betrübt drein zu blicken. Ich lege ein Nickerchen ein und öffne, kurz bevor das Fufu fertig gestampft ist, meine Augen. Die Hausherrin, Georges Mutter, kommt von der Kirche zurück und wundert sich nicht schlecht als auf einmal drei weiße, fremde Gestalten auf ihrem Sofa sitzen. Ahnungslos stellt sie sich höflich vor und setzt sich schweigend aufs Sofa. Betretenes Schweigen. Irgendwo hört man leise das Zirpen einer Grille und daneben eine Stecknadel fallen, vor dem Fenster rollen Strohballen über die Straße. „So who are you? I don‘t know you”, bricht sie das Schweigen. Wir schmunzeln leise in uns hinein und stellen uns und unsere Absichten vor. Da kommt auch schon das langersehnte Fufu mit Erdnusssuppe und Fisch und löst die peinliche Situation auf. Das Warten hat sich gelohnt. Wir tauchen mit unseren Fingern tief in den luftigen Fufu-Teigbatzen und umfassen damit Suppe und Fisch, was dann mit kräftigem Schmatzen und Geglecker in unsere Münder wandert. Komischerweise essen wir für uns allein am Esstisch, die beiden Köche, George und seine Schwester im Nebenraum und Oma samt Enkelin im Wohnzimmer. Verstanden haben wir das bis heute noch nicht. Aber anscheinend ist das getrennte Essen wohl Gang und Gäbe, denn in Sega essen wir auch separat von Godwin und den anderen ghanaischen Mitbewohnern. Nachdem alle Teller ausgeleckt sind bedanken wir uns recht herzlich für das sehr, sehr leckere Essen und nach etwas Smalltalk und einer Fotosession steigen wir in ein Taxi und düsen im Anschluss wieder mit dem Tro Tro, diesmal über die Station Tema Motorway Roundabout, innerhalb von nur knapp vier Stunden (sonntags ist weniger Verkehr) zurück nach Sega.

 

 

[25.05] Ada Foah – River Safari

Es ist Africa Union Day, damit Feiertag und schulfrei, wie uns Godwin am Abend vorher nach einem Blick in den Kalender gerade noch rechtzeitig mitteilt. Wir beschließen ins nahegelegene Ada Foah zu fahren und dort eine River Safari auf dem Fluss Volta zu machen. Nach längerer Verhandlung mit Bootsführer Prosper steigen wir für 90 Cedi in sein Schiffchen und lassen uns nach circa zwanzigminütiger Fahrt und vielen schönen Bildmotiven auf der Rum Island absetzen. Dort erhalten wir eine Führung durch die Destilliere des Ortes, die seit Jahrzenten roten und weißen New Rum produziert und exportiert. Wer sich jetzt große Fabrikhallen und viele Arbeiter vorstellt hat das falsche Floss genommen. Die Zuckerrohre werden auf einigen der 24 benachbarten Inseln im Volta angebaut und geerntet. Nach der Reife verarbeitet und der Saft des Zuckerrohrs drei Wochen in blauen Plastiktonnen gelagert. Danach wird der gegorene Saft destilliert und zum Teil in Mahagoni Fässern (rote Farbe) für einige Zeit gelagert. Zwei Schnäpschen am Morgen vertreiben Kummer und Sorgen, doch bringen sie uns auch Kopfweh und etwas flauen Magen, denn geschmacklich sind die Schnäpse einfach nicht mit Rum zu vergleichen. Wir lernen viel über das Leben im Inseldorf und der Enkel des kürzlich verstorbenen Firmengründers steht uns mit Rat und Tat zur Seite. Angeblich soll der rote Rum „Man Power“ verleihen. Ob das wirklich stimmt? Das darf jeder gerne selbst ausprobieren.

To be contiued…