Mit Umarmungen und warmen Worten wurde ich im Kinderhaus Casadeni begrüßt. Die Herzlichkeit, die ich dort erfahre, spiegelt sehr gut die Arbeitsweise und das Klima dort wider.
Für die Kinder ist Casadeni ein Ort, an dem sie Chaos im Alltag, Kinderarbeit, Armut und politische Instabilität vergessen können. Es ist ein Ort, an dem sie Unterstützung erfahren, ihnen eine Chance auf Bildung ermöglicht wird und sie einfach nur Kind sein können.
Meine Aufgabe besteht hauptsächlich darin, den Kindern bei ihren Hausaufgaben zu helfen und Lerndefizite in Mathematik und Englisch auszugleichen. Dass die Bildungschancen stark von dem Elternhaus und deren Unterstützung abhängen, merkt man hier schnell. Während manche 3. Klässler perfekt multiplizieren können, haben 6. Klässler Probleme, einen Text zu verfassen. Wer zuhause keine Unterstützung bekommt, vielleicht weil die Eltern nicht helfen können, fällt im Unterricht schnell zurück. Die Förderung der Pädagog*innen umfasst individuelle Betreuung, sei es bei Hausaufgaben oder alltäglichen Herausforderungen, das Lehren und Leben von Werten wie Respekt, Solidarität und Wertschätzung, und ein offenes Ohr für die Probleme der Kinder. Durch ihre Arbeit leisten sie einen Teil zur Bildungsgerechtigkeit bei und ermöglichen auch sozial schwachen Kindern bessere Zukunftsperspektiven.
Während bei uns schon schlechte Noten ein Weltuntergang sind, haben die Kinder hier ganz andere Probleme. Die Familien, noch immer traumatisiert vom 23-jährigen Guerillakrieg, der seinen Ursprung und Austragungsort in Ayacucho hatte, kämpften gegen die größte Infektionswelle während der Pandemie weltweit. Durch die Schließungen der Schulen fielen die sozial schwächeren Schüler*innen noch weiter zurück, die Armut nahm zu. Die Familien lebten hier schon vor der Pandemie in Armut, die Kinderarbeit ist ein alltägliches Übel, ohne welches sich die Familien allerdings den Lebensunterhalt nicht leisten könnten.
Das Kinderhaus ist unter der Woche nachmittags für die Kinder in der Umgebung geöffnet. Doch es werden auch Kinder betreut, die Casadeni nicht zu diesen Zeiten besuchen können, da sie zu weit weg wohnen oder arbeiten müssen. Diese Bereiche werden Zonen genannt und regelmäßig von den Sozialpädagog*innen und Lehrkräften besucht. Sie bescheren dort den Kindern eine schöne und sorgenfreie Zeit mit gemeinschaftlichen Aktionen und Spielen. Doch sie leisten auch Herzensbildung. Sie vermitteln Werte wie Solidarität, Vielfalt, Respekt und Toleranz und bringen Kindern die selbstständige Meinungsbildung und das kritische Denken bei. Außerdem sprechen sie mit ihnen über ihre Probleme, die leider oft gegen die Kinderrechtskonvention verstoßen. Deswegen hat es sich Casadeni zur Aufgabe gemacht, die Kinder über ihre Rechte aufzuklären und auch die Gesellschaft hinsichtlich der Wahrnehmung der Kinderrechte zu sensibilisieren. Beispielsweise läuft momentan die „Actuemos ahora“-Kampagne, die über die Konvention aufklärt und zu einem sofortigen Handeln der Gesellschaft und der Politik auffordert.
Während meiner Zeit in Casadeni trafen sich die Kinder aller Zonen, um über ihre Probleme zu sprechen. Ich bin in einem geschützten Umfeld aufgewachsen, sodass mein größtes Problem war, wenn die Älteren einen beim Fußball nicht mitspielen ließen. Dementsprechend musste ich ganz schön schlucken, als die 6- bis 14-Jährigen von ihren Problemen wie fehlendem Zugang zu fließend Wasser, schlechten Arbeitsbedingungen, häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch sprachen.
Casadeni hilft den Kindern nicht nur bei schulischen Angelegenheiten, sondern bietet ihnen auch einen geschützten Raum, wo sie einfach nur Kind sein dürfen. Ich bin zu einer Bezugsperson geworden, die den Kindern im schweren Alltag eine stabile und zuverlässige Stütze ist. Schon bald spürte ich das Vertrauen der Kinder, für die ich mehr als nur eine Lehrkraft und Betreuerin bin. Für mich sind die Kinder auch mehr als nur Schüler*innen, durch die enge Zusammenarbeit und das gemeinsame Spielen habe ich eine sehr vertraute Beziehung zu ihnen aufgebaut, sodass mir ihre Wohlbefinden sehr am Herzen liegt.
In Casadeni herrscht ein respektvolles und friedliches Miteinander, wo jedes Kind eine Stimme hat, und das Gefühl bekommt, ein wichtiger Teil der Gesellschaft zu sein. Auch mir gibt das Kinderhaus durch das liebevolle Miteinander das Gefühl, dazuzugehören.
Durch meine Arbeit habe ich Peru von der ärmeren Seite gesehen und nicht nur das Urlaubsland, das für Machu Picchu und Alpakas bekannt ist. Ich habe gelernt, wie unterschiedlich das Leben und die Zukunftschancen für Kinder sein können. Ich hoffe, dass sich meine Lehrer*innenpersönlichkeit durch diese Erfahrung nachhaltig verändert und ich noch lange von meinen Erfahrungen, die ich hier mache, profitieren kann.
Ich hoffe, ich konnte mit diesem Bericht einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise des Kinderhauses und deren Bedeutung geben. Ich genieße meine Zeit in Ayacucho in vollen Zügen und blicke gespannt auf meine noch vier verbleibenden Wochen in der Gemeinschaft Casadenis!