Eigentlich wollte ich den Blogeintrag während meines Praktikums in Palangka Raya schreiben und eigentlich würde ich genau jetzt Schüler unterrichten, Lehrer fortbilden und die Gegend erkunden. Doch eigentlich kam so Einiges anders. Ich habe zwar in Indonesien eine große Portion Spontanität mit der dazugehörigen souveränen Lösung der Situationen gelernt. Aber dass es mir – wie auch vielen anderen – innerhalb weniger Tage abverlangt wird, aufgrund der Corona-Pandemie alles hinter sich zu lassen und nach Hause zu fliegen, das wollte ich wahrlich nicht wahrhaben.
Doch auch wenn ich nun schon einige Tage halbwegs glücklich zurück in der Heimat bin, möchte ich dennoch über meine Zeit an der SMA 3 Palangka Raya berichten. Und genau deshalb spule ich zurück zum Anfang, auf den 02.02.2020, an welchem Tag meine Zeit in Indonesien begann.
Nach 24 Stunden Anreise kam ich etwas erschöpft, aber voller Vorfreude am Flughafen von Palangka Raya an. Dort wurde ich von den Deutschlehrern Herrn Jimmy, Frau Frisca und Frau Pramita sowie dem Rektor der Schule Herrn Sudiro bereits erwartet. Nach meinem ersten indonesischen Essen geht es zu meiner Gastfamilie. In den folgenden Wochen werde ich bei der Schwiegermutter des Rektors wohnen. Doch mit meiner Einschätzung, dass wir nur zu zweit in dem Haus wohnen, lag ich sehr falsch. An sich wohnte nur noch eine Tochter mit ihrer Familie im Haus der Mutter. Doch die Familie ist so stark miteinander verbunden, dass die sechs Kinder zusammen mit ihren Familien beinahe täglich ins elterliche Haus zurückkehren. Nach zwei Wochen erst konnte ich die Familienmitglieder richtig zuordnen, denn auch die Cousins und Cousinen nennen sich Bruder und Schwester und benennen Tanten als Mutter. Und bei so vielen Personen war das wirklich nicht leicht für mich. Aber diese enge Verbundenheit war sehr schön zu erleben und durch den ständigen Familienbetrieb gab es immer viel zu lachen, zu erzählen und zu unternehmen. Die anfangs befürchtete Einsamkeit stellte sich daher nicht ein. Die bekannte Gastfreundlichkeit der Indonesier war auch in meinem Umfeld stark vorhanden, so wurde auf mein leibliches Wohl und meine Bedürfnisse geachtet. Auch hat die Familie sehr viel mit mir unternommen, sodass ich alle Sehenswürdigkeiten der Stadt und einige kulinarische Highlights kennenlernen konnte. Doch genau da stellte sich für mich zu Beginn eine Schwierigkeit ein. Durch den gebenden Charakter der Indonesier musste ich erst lernen, so viel annehmen zu können.
Indonesien und ihre zukünftige Hauptstadt Palangka Raya
Indonesien gilt mit über 17.000 Inseln als das größte Inselreich der Welt. Trotz der Tausenden von Inseln hat es mich ausgerechnet auf die drittgrößte Insel der Welt – nämlich Borneo verschlagen. Die Insel Borneo gehört im Norden des Landes zu Malaysia und Brunei. Alles südlich davon nennt sich Kalimantan und gehört Indonesien an. Indonesien hat sehr vielfältige Kulturen. Auf Kalimantan nennt sich die Kultur Dayak. Obwohl Kalimantan ca. 28% der Gesamtfläche von Indonesien bildet, leben hier nur etwa 6% der Gesamtbevölkerung. Diese Zahlen lassen bereits vermuten, dass es kaum große Städte auf der Insel gibt. Tatsächlich besteht ein großer Teil der Insel aus einer Vielfalt von tropischen Wäldern, Flüssen und Gebirgen. Doch vor allem die Brandrohdung und die zunehmenden Palmölplantagen setzen der Flora und Fauna Kalimantans sehr zu.
Palangka Raya ist die Hauptstadt der Provinz Zentral-Kalimantan. In den 1950er Jahren entstand sie unter Indonesiens ersten Präsidenten Sukarno, der die neu errichtete Planstadt als neue Hauptstadt für Indonesien erwählte. Dies zeigt sich vor allem im Stadtbild. Es gibt keine besonders alten Gebäude, alles wirkt modern und die Straßen sind wie mit einem Lineal gezogen. Es gelang Sukarno zwar nicht, mit der Hauptstadt umzuziehen, aber der Gedanke blieb. Besonders die Überbevölkerung Jakartas und die andauernden Überschwemmungen veranlassen die aktuelle Regierung dazu, eine Lösung zu finden. Palangka Raya gilt demnach als wahrscheinlichste Alternative: keine Vulkane, keine Erdbeben, dafür geschützt im Landesinneren.
Walzer und Dayaktanz: Kulturaustausch in der Schule
Die SMA 3 ist eine staatliche Oberschule. Nach den drei Schuljahren sind die Schüler befähigt an die Universität zu wechseln.
Die Woche beginnt jeden Montagmorgen um 6.45 Uhr mit einer gemeinsamen Zeremonie. Dabei wird von den 1000 Schülern und 100 Lehrern in einem streng vorgegebenen Ablauf vor der indonesischen Flagge salutiert. Die Zeremonie wurde sogleich genutzt, um mich allen vorzustellen. Ich habe sehr viele Hände geschüttelt und noch mehr Fotos gemacht. Die Freude, dass ich den weiten Weg auf mich genommen hatte und zu ihnen an die Schule kam, war sehr groß.
Meine Hauptaufgabe ist es, den Deutschunterricht zusammen mit Herrn Jimmy in den fünf Deutschklassen zu halten. Dabei bereite ich den Unterricht vor und Herr Jimmy hilft mir bei den Übersetzungen ins indonesische. Das Interesse an Deutschland ist sehr groß, deshalb besuche ich knapp 30 Klassen in den unterschiedlichsten Fächern. Dabei bereite ich einige Unterrichtsstunden über Deutschland und seine Kultur vor. Meine Highlights waren neben der Landeskunde besonders das Völkerballspiel im Sportunterricht und der langsame Walzer im Kunst- und Kulturunterricht. Im Gegensatz dazu durfte ich traditionelle Tänze der Dayak kennenlernen und auch ausprobieren.
Von 6.45 – 15.30 Uhr dauert die Schule. Mein Tag ist meistens gut gefüllt. Denn auch zum Unterrichten gehören die Pausen und vor allem meine Lieblingszeit im Computerraum – einer der wenigen mit einer Klimaanlage. Auf die Abkühlung freue ich mich immer sehr, denn draußen herrschen meistens um die 30 – 35° C. Außerdem sind dort großartige Lehrerinnen und Lehrer, die mich oftmals verschiedenste Früchte oder andere Spezialitäten probieren lassen.
Ich wusste zwar, dass der Glaube in Indonesien eine sehr große Rolle spielt, aber wie es tatsächlich gelebt wird, fasziniert mich noch immer. An der Schule werden die vier großen Religionen Islam, Protestantismus, Katholizismus und Hinduismus gelehrt. Doch es ist nicht nur Religionsunterricht. Spirituelle Kompetenz stellt eine Säule der vier übergreifenden Kompetenzen dar. Auch konnte ich eine tolerante Haltung zwischen den Religionen feststellen. Und so hat es mich sehr gefreut, dass ich zum Kulturaustausch alle vier Religionsunterrichte besuchen durfte.
Glaube, Gesundheit und Bildung
Auch wenn fast alle Kulturen Indonesiens als sehr freundlich gelten, spürt man in Palangka Raya innerhalb der Dayak eine ganz besondere Freundlichkeit gegenüber Deutschen. In Indonesien gehört die Mehrheit dem Islam an. Doch in Kalimantan gibt es eine sehr große Anzahl der christlichen Glaubensgemeinschaft. Durch mehrere Gespräche konnte ich herausfinden, dass im letzten Jahrhundert viele Missionare aus Deutschland auf Kalimantan waren. Sie brachten vor allem den protestantischen (und katholischen) Glauben, verbesserten das Gesundheitssystem und kümmerten sich um den Bau von Schulen. Die Weiterentwicklung von animistischen Bräuchen hin zu einer modernen Zivilisation verbinden die Träger der Dayak-Kultur bis heute mit Deutschland. Deshalb begegnen einem vor allem ältere Einwohner Kalimantans mit einer sehr herzlichen Freude, aber auch mit einer gewissen Dankbarkeit.
Aktivitäten in tropischer Flora und Fauna
Viele liebe Menschen haben mir eine sehr schöne Zeit ermöglicht und wunderbare Orte gezeigt. Was in Kalimantan ein absolutes Muss ist, ist der Besuch von Orang-Utans. Neben Sumatra ist es der einzige Ort, an dem sie noch leben. Die großen Tiere sind sehr faszinierend, doch aufgrund der zunehmenden Abholzung leider stark gefährdet. Eine Wanderung auf den Bukit Tangkiling ist auch sehr zu empfehlen. Der Ausblick über die grünen Weiten lässt die Herausforderung durch die tropischen Temperaturen auch sogleich vergessen.
Was mir bleibt…
Ich habe erfahren, dass ich mich bei einem Kulturaustausch nicht nur über das andere Land informiere, sondern mich intensiv mit der eigenen Herkunft und dem heimischen System auseinandersetze. So habe ich nicht nur Indonesien schätzen gelernt, sondern auch Deutschland. Denn auch wenn das deutsche Bildungssystem häufig kritisiert wird, beeindruckt mich doch der demokratische Grundgedanke mit der damit einhergehenden Mündigkeit. Bisher hatte ich ihn als selbstverständlich angenommen. Doch im Vergleich zu den indonesischen Schülern, die kaum über ein Thema diskutieren können, wurde mir die Wichtigkeit dessen bewusst.
Das Praktikum war eine sehr schöne Erfahrung für mich. Spontanität und Improvisation habe ich dort oft erlebt und selbst besonders in der Unterrichtsgestaltung gelebt. Und obwohl ich das Praktikum habe abbrechen müssen, werden wir die Lehrerfortbildungen weiterführen. Improvisiert mit Videokonferenzen diskutieren wir in einigen Webinaren über die Landeskunde von Deutschland und der unterrichtlichen Umsetzung.
Es sind sehr schöne Erinnerungen und Bilder, die mir zeigen, wie wohl ich mich dort gefühlt, was ich Schönes erlebt und welche (persönlichen) Herausforderungen ich gemeistert habe.
Mit sechs Wochen war ich doch eine Zeit lang in Indonesien. Doch ich habe nicht das Gefühl, mit den Menschen und der unglaublich schönen Natur abgeschlossen zu haben. Ich war doch erst dabei, alles zu entdecken. Deshalb ist eines sicher: Indonesien, wir sehen uns bald wieder!