Chile,  Temuco

Las Faldas Negras

Chile, das anderen Ende der Welt

Las Faldas Negras. So nennt meine Gastmutter mich und meine Vorgängerinnen, die auch schon bei ihr beherbergt und umsorgt wurden, mit einem Augenzwinkern. Ein schwarzer langer Rock ist hier für die Praktikanten als Schulkleidung Pflicht. Er kommt der typischen Schuluniform der anderen Lehrkräfte, die auf die Tracht der Mapuche ausgerichtet ist nah.

12 Wochen vergehen so schnell. Als ich ankam, konnten wir noch ohne Jacke hinaus. Mittlerweile befinden wir uns bei Graden nur etwas über dem Gefrierpunkt und ich durfte „Gracias a Dios!“ meinen Rock gegen eine Hose austauschen. Ich bin in Chile. Genauer in der Region Araukaniens. Was ich, bevor ich mich mit diesem Praktikum befasste nicht wusste, ist wie das indigene Volk der Mapuche hier um ihre Kultur zu kämpfen hatte und das noch immer tun. Ein Land doppelt so groß wie Deutschland und trotzdem nur von ungefähr 18 Millionen Menschen besiedelt. Das Land mit der größten Nord-Süd-Ausbreitung der Welt. Das bedeutet für die Chilenen, dass sie von der Wüste über Vulkane bis zu Gletschern alles zu bieten haben. Das Land ist das stabilste und am wirtschaftlich stärkste Land Südamerikas doch die Schere zwischen Reich und Arm klafft weit auseinander wie bei keinem Zweiten. Etwa ein Drittel aller Chilenen leben in der Hauptstadt Chiles, Santiago. Dort befinden sich auch die meisten Mapuche.

Hier lebe ich

Darauf folgt die Stadt Temuco, 700km weiter im Süden von Chile, wo die Kultur der Mapuche allgegenwärtig ist. Hier befindet sich auch die Schule Trani-Trani. Etwas abgelegen auf dem Land und nur mit dem eigenen Schulbus oder Auto zu erreichen. Die Straßen sind hier eher schlecht als recht, was daran liegt, das die Mapuche kein Geld für die Sanierung ihrer Straßen haben. Nach jedem Regenschauer, nehmen wir andere Schleichwege um zur Schule zu gelangen, weil die kürzeste Strecke durch die vielen Löcher im Boden unbefahrbar wird. Die Mapuche sind ein naturverbundenes Volk, das vor allem von der Landwirtschaft und Ackerbau lebt und von dem was sie anschließend auf den Märkten verkaufen.

Fundcam – Trani-trani

Die Schule wurde vor rund 20 Jahren mit der Intention gegründet auch den ärmeren Kindern der Mapuche eine Schulbildung zu ermöglichen. Die Schüler leben teilweise auf dem Land teilweise pendeln sie täglich von der Stadt in die Schule. Es ist eine Ganztagesschule, die den Kindern morgens ein Frühstück, Pausenbrote und Mittagessen bietet. So wie die Schule selbst Akzeptanz lehrt, grenzt die Schule auch keinen aus und nimmt jeden Interessenten ohne Mapuchehintergrund auf. Diese Familien tun dies meist im Bewusstsein, das ihre Kinder im Sinne von Kimche (Persona sabia = Person mit Weisheit), Newenche (Persona con fuerza = Person mit Stärke), Kumeche (Persona Buena = Person mit gutem Herzen) und Norche (Persona recta = gerechte Person) unterrichtet werden.

Leitsätze

Die Schule ist einzigartig im Umkreis und versucht den Kindern wieder die Sprache Mapudungun und die Bräuche ihrer Ahnen beizubringen. Aus Scham und in der Hoffnung, das ihre Kinder nicht weiter diskriminiert werden hatten viele Mapuche in der Vergangenheit versucht ihre Herkunft zu verstecken und ihren Kindern die Sprache nicht mehr beigebracht. Die Sprache ist wie eine Fremdsprache für die Kinder, weil sie in den Familien nicht mehr wirklich gesprochen wird. Mittlerweile gibt es Schulbücher der chilenischen Regierung und an der Universität kann das Fach Lengua-Indigena und die Kultur-Mapuche studiert werden.

Spielplatz der Schule Trani-Trani. Links eine Ruka, die traditionelle Wohnhütte der Mapuche.

Ich kann hier in der ersten bis zu achten Klasse mithelfen. Es gibt Förderlehrer für Härtefälle wobei im gesamten die Kinder egal welchen Niveaus gleichzeitig unterrichtet werden. Die Schule hat insgesamt nur ca. 80 Schüler. Jeder kennt jeden und die Schulfamilie ist wie eine Familie im wörtlichen Sinne. Täglich werde ich mit Wangenküssen begrüßt. „Mari mari Lamngen“ heißt es dann in der indigenen Sprache, was so viel wie „Hallo Frau/Mann“ heißt. Ein anschließender Name ist nicht unbedingt notwendig, kann aber ergänzt werden. Lamngen Carola oder Carito. Marcelo ist Maercelito, Marta ist Martita, Consalo gleich Consalito und sogar Lamngen wird mir Lamngensita verniedlicht. Der café ist ein cafesito und das Brot ein pansito. Ach, diese Chilenen. Aber das ist doch auch irgendwie ganz sympathisch. Nur unser Hausmeister, der wird manchmal liebevoll Tio also Onkel oder etwas ernster Don genannt. Doch kommt bitte nicht auf die Idee das Wort Mapuche zu verniedlichen! Der Chef wird streng und verzieht ernst das Gesicht als er anfängt zu erklären. Es hat die Bedeutung von „Ach der arme Mapuche“. Wir sind stolze Mapuche sagt er..! MA-PU-CHE!

Schulleben

Die Flagge der Mapuche. Kultrún mit Sonne, Mond und Sternen

Am ersten Tag meines Praktikums haben mich die Schüler am Schultor erwartet und Willkommen geheißen. Anschließend ging es mit den Lehrern in die Ruka dem traditionellen Haus der Mapuche. Es ist eine Hütte aus Stroh in der die Familien früher gemeinsam mit ihren Tieren lebten. Es ist jedes mal etwas besonderes für die Kinder, wenn sie in die Ruka dürfen. Hier sollen sie sich benehmen, weil es ein wichtiger Ort ihrer Urväter war und gleichzeitig, lieben sie es sich auszutoben, indem sie um das Lagerfeuer in der Mitte Tanzen und mit der „Cultrún“ einer Trommel mit „Pifilca“-Pfeifen, „Wada o Huada“ -Rasseln, „Kull Kull“-runde Trompete oder „Karkawilla“-Schellen Musik machen. Jeden Montag Morgen versammeln sich die Kinder in der überdachten Schulvorhalle. Die Schulleiterin hält eine Ansprache und bespricht die wichtigsten Themen der Woche. So führten sie einen wöchentlich rotierenden Observationsplan ein, der festlegte welche Klasse für die Observation der Sauberkeit des Schulgeländes zuständig ist. Ihre Umwelt war ein Thema im Fach „Ciencia“-Wissenschaften, das sie in Projekten sofort in die Tat umsetzten. Um Flaschen und Plastikmüll weiterzuverarbeiten, legten sie ein Blumenbeet an, das durch Plastikflaschen begrenzt wurde. Zusammen mit den Lehrern bearbeiten die Schüler auch den Schuleigenen Garten und Gewächshäuser. Doch die Kinder sind im Grunde gleich wie hier in Deutschland und wir haben dieselben Probleme. So musste die Schulleitung nach ein paar Wochen des Schuljahres Handys verbieten, deren übermäßiger Gebrauch zu Streit führte.

Die Größe der Schule ermöglicht den Lehrern viele Aktivitäten für die Schüler zu organisieren.

Das Leben besteht aus Projekten

Gleich in der ersten Woche durfte ich mit der gesamten Schule auf einen nahegelegenen Sportfreizeitplatz einen Ausflug machen. Dort machten die Schüler Picknick und probierten alle möglichen vorhandenen Sportgerät aus. Auch beim jährlichen English-Day konnte ich teilnehmen und mitfiebern. Der „Dia de la convivencia“also der Tag des Zusammenlebens wurde groß gefeiert. Die Schüler besuchten Workshops in dem sie über Anders sein und Akzeptanz diskutierten und verknüpften dies anschließend mit ihrem in „lenguaje“ durchgeführten Thema von Märchen. So verkleideten wir Lehrer uns und traten einen Nachmittag lang als Märchenfiguren auf, was den Kindern genauso viel Spaß machte wie den Lehrern. Die Klassen arbeiten stets an Projekten, so zum Beispiel dem Tag des Buches oder an einem Projekt in dem die achten Klassen allen Kindern der Schule, also den 4 weiteren Klassen, die Organe des Körpers und die wichtigsten Nährstoffe die er braucht erklärte. Sie arbeiteten so selbstständig und passten ihre Erklärweise jeweils der Jahrgangsstufe an. Mit Freude habe ich verfolgt wie sie mit den Erst- und Zweitklässlern nach der Erklärrunde ein Quiz einfügten, um das eben gehörte, zu festigen und weiter zu verstehen. Die Kinder werden nicht abgefragt, um Noten zu machen oder schreiben auch keine spontanen Proben. Die angesagten Proben nehmen sie recht locken oder vergessen sie sogar.  Ziemlich frei können die Kinder entscheiden, ob sie aktiv mitarbeiten oder passiv. Meist wird auch die Form der Arbeit freigestellt, so arbeiten einige stets allein andere lieber in Gruppen. Was ich bisher noch nicht in der Form gesehen hatte, ist das die Kinder sowohl in der Schule als auch im Kindergarten mit Knete „malen“. Sie kleben die Knete in dünnen Schichten auf die Arbeitsblätter. Das erzeugt eine 3-D Wirkung und ist irgendwie ganz nett. Die Schule verfügt über einen Computerraum, den die Klassen gerne nutzen, in ihren Freistunden oder mit den Lehrern. Ab der ersten Klasse verwenden sie die Computer zum Arbeiten. Sie schreiben Wordtexte, suchen Informationen oder erstellen Powerpoints. Unwahrscheinlich selbstständig können die Schüler Aufträge am Computer erledigen, obwohl sie keinen IT- Unterricht haben, sondern alles irgendwie learning by doing ist. Doch wer sagt, dass das schlecht ist?

Alle zwei Wochen setzten wir Lehrer uns zusammen und besprechen nach der Schule aufgetretene Probleme, Veränderungen und das Verhalten der Schüler. Der Lonko ist bei den Mapuche das Oberhaupt einer Comunidad. In der Schule wählen sie in jeder Klasse einen Lonko der wie eine Art Klassensprecher fungiert. Wenn es eisig ist, werden die Klassenzimmer mit einem kleinen Holzofen beheizt. Die Kinder sind augenscheinlich an die kalten Umstände gewöhnt und wärmen sich in den Pausen mit Spielen auf. Im Gegensatz zu Deutschland bekommt in Chile jedes Schulkind am Anfang des Jahres kostenlos alle Schulbücher zur Verfügung gestellt. Diese ist leider eine ziemliche Papierverschwendung, auch wenn man bedenkt, dass die Bücher viele Jahre identischen Inhalt haben oder von einigen Lehrern nicht genutzt werden.

Kultureller Austausch

Im Gespräch mit den Lehrern habe ich erfahren, das sie zuvor an verschiedenen anderen Schulen unterrichtet haben. Einige wählten die Schule, weil sie näher und schneller zu erreichen ist als die Schulen in der staugeplagten Stadt, andere sind davon überzeugt, das die freie Art der Kinderentwicklung und die kleine Schulfamilie vielfältige Möglichkeiten bietet und schicken auch ihre eigenen Kinder an die Schule. Die Kinder und Lehrer sind stolz darauf die Traditionen weitertragen zu können. Eifrig üben sie sich auf Mapudungun vorzustellen zu begrüßen oder Dinge der Natur zu benennen. Jedes Jahr werden Lehrer nach Peru eingeladen an eine Schule mit der sie einen kulturellen Austausch pflegen. Im Gegensatz Besuchen auch die Peruaner die Schule. Zwei Kinder mit gerade mal 12 Jahren reisten so im April für eine Woche nach Chile und besuchten uns. In diesem Augenblick konnte man den Stolz einiger Schulkinder in den Augen funkeln sehen, als sie die Gäste in der Schule in ihren besonderen Trachten begrüßten und sich unterhielten.

Unterricht

Im Englischunterricht helfe ich meist der Lehrerin, die selbst noch sehr jung ist. Sie ist für die hilfe sehr dankbar und ich durfte auch selbst eigene Stunden halten. Da sie nur an zwei Tagen die Woche an der Schule ist, kann ich die anderen Tage in Klassen meiner Wahl, von der ersten bis zur achten, im Unterricht mitmachen. Der Tag ist lange. Von 8:45 bis 16:15 sind alle Kinder in der Schule. Bis ich selbst Heim kommen ist es oft schon sechs oder später.

Da es um diese Uhrzeit dann schon dunkel ist, soll ich nicht mehr vor die Tür. Das ist „peligroso“ also gefärlich. Das hab ich am Anfang oft zu hören bekommen. Einige Straßen meide ich. Es hier auch eher ungewöhnlich alleine raus zu gehen, aber bis zum Supermarkt und zurück schaff ich es dann doch. Angst habe ich keine aber doch trotzdem einen Respekt, denn Leichtsinn wäre hier fehl am Platz. Am Wochenende habe ich Zeit das Land bei Tageslicht zu besichtigen. Während meiner Zeit hier wurde in der Straße eingebrochen aber aus eben diesem Grund versperren wir tagtäglich die Fenster Abends mit Holzlatten und schalten einen Alarm an. Die Grundstücke sind alle mit Stahlzäunen umzogen und die meisten Häuser haben vor ihren Fenstern Gittern. Es ist schon fast witzig, wie in bestimmten Gebieten ein Haus dem anderen gleicht.In den bewachten Wohnkomplexen und Siedlungen steht am Eingang ein Wachmann, der das Auto checkt und fragt, was man will und wie lange man bleibt.


Meine Gastmutter kümmert sich um mich als wäre ich ihre Tochter und ihre Töchter nennen mich die deutsche Schwester. Mit ihnen habe ich den meisten privaten Kontakt außerhalb der Schule, was wirklich sehr schön ist. In diesem Praktikum lerne ich viel über ein sehr anders strukturiertes System von Schule, wie es in den Lehrbüchern nicht zu finden ist. Ich selbst lerne gelassener zu sein und nehme neben den schulischen Dingen viele Gelegenheiten mit das Land und seine Bewohner kennenzulernen.

Kindergarten

Im Kindergarten konnte ich einen Tag die Woche zusätzlich meinen eigenverantwortlichen Unterricht halten. Vorab schicke ich der Leiterin des Kindergartens einen Verlaufsplan. Die Materialien sind so gut wie alle vorhanden und ich muss nichts zusätzlich besorgen. Die Tias sind sehr kreativ und organisierter als in der Schule. Es ist eine neue Erfahrung für mich mit so kleinen Kindern zu arbeiten aber mit der Zeit haben sich die Kinder an einen gewöhnt und das Arbeiten mit ihnen ist unglaublich herzlich.

We Xipantu


Mein abschließende Highlight meines Praktikums ist das Neujahrsfest der Mapuche für das die Kinder schon eifrig Üben und Vorbereiten. Es ist der Tag der Sonnwende. Die Eltern und Freunde sind eingeladen an der Feier teilzunehmen. Wir Lehrer haben in Töpfen über Feuerstellen stundenlang gekocht und Sopaipillas fritiert. Auf die Feier freue ich mich schon…

In der Ruka bereiten wir über 300 Sopaipillas vor. Lecker schmecker…