Valentine’s Day was lekker.
Lekker ist das Afrikaans-Wort für gut, super, … und auch „lecker“ für das Essen 🙂
Da sich die Sprache Afrikaans aus der Kolonialgeschichte Südafrikas mit Kolonialisierungen durch die Niederlande und das British Empire entwickelt hat, ist es als Vereinfachung des Niederländischen mit englischen und indigenen Spracheinflüssen zu sehen. Unterdrückung der indigenen Sprachen sowie die Notwendigkeit mit den Angehörigen der übermächtigen Gewaltherrschaft in der Kolonialzeit zu kommunizieren, hat zur Entwicklung dieser Sprache geführt. Die ersten schriftlichen Ursprünge der Sprache finden sich bei muslimischen PoC-Bevölkerungsgruppen (lt. dem Village Museum in Stellenbosch). In der an das Ende der Kolonialzeit anschließenden in neuen Dimensionen unterdrückenden Apartheidsära in Südafrika seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Afrikaans paradoxerweise von den unterdrückenden Weißen, den Buren (andere Selbstbezeichnung „Afrikaners“) gesprochen. Es war die Sprache der Unterdrückung von PoC. Aber derlei ambivalente landesgeschichtliche Zusammenhänge finden sich im Südafrika von damals wie heute zuhauf. Deswegen ist auch nicht verwunderlich, dass ein Wort wie „lekker“ unseren Ohren ungewohnt vertraut erscheint, denn es ist mit der niederländischen und damit deutschen Sprache verwandt, ein bis heute lebendiges sprachliches Phänomen als Zeuge der wechselhaften Geschichte von Europa und dem afrikanischen Kontinent, hier in der Kapregion im Süden.
Das Schulpraktikum
Die Schule, in der ich mein sehr lehrreiches Praktikum absolvieren darf, ist in einem ehemaligen „colored“-Stadtteil von Stellenbosch in der Weinregion des Landes, ca. 1 Stunde vom schönen Kapstadt entfernt. „Colored“ war eine der drei Kategorien, in die das Apartheidsregime Menschen hinsichtlich ihrer ethnischen Herkunft einteilte. Ganz oben die „whites“, dann die „colored“ mit mehr Rechten und ökonomischen Möglichkeiten; und ganz unten die „blacks“. Diese Dreiteilung schaffte eine Situation der Abwertung von People of Color untereinander zugunsten der White People. Denn die etwas besser gestellten „coloreds“ waren und sind der Apartheidszeit häufig deutlich positiver gestimmt und waren sicherlich eine Säule für die Aufrechterhaltung dieses Systems für viele Jahre.
Aus meiner Sicht ist dies manchmal verwirrend, weil ich eher die Unterscheidung White vs. People of Color kenne. Dazu kommt, dass es bei der Unterscheidung „colored-black“ weniger um die eigentliche Färbung der Haut geht, es ist eher die soziale und historische Herkunft von Menschen, die ihnen dieses Label eingebracht hat oder bis heute tut. Die Unterscheidung in diesen drei Kategorien ist über 30 Jahre nach der Apartheid noch ein sehr gängiges sprachliches Charakteristikum, was mir häufig begegnet.
Die Schule ist sehr christlich geprägt, es wird mehrmals am Tag gebetet. Der nicht unerhebliche Anteil muslimischer Kinder wird aber genauso gewürdigt, auch wenn immer ausschließlich christlich gebetet wird. Jedoch gab es bei einer der allwöchentlichen Schulversammlungen am Montagmorgen eine Einladung an einen muslimischen Prediger, der den Kindern eine kurze Einführung in den Koran präsentierte. Die Schulversammlung zum Wochenauftakt sind eine schönes Element des Schulalltags. In einer guten halben Stunde wird gesungen, gebetet, die Geburtstagskinder der ganzen Schule der vergangenen Woche werden besungen und es gibt immer einen Programmteil den abwechselnd eine der Lehrer:innen organisieren. Unter anderem war ein Programmpunkt eine Einlage mit der Schulband, bei der ich aufgrund der Tatsache, dass die Schule einige wenige Musikinstrumente zur Verfügung hat, mitspielen konnte.
Valentine’s Day
Die eigene Rolle reflektieren
Die Möglichkeit für mich, mich musikalisch einzubringen, ist eine besondere Ehre für mich. Tatsächlich hab ich nicht damit gerechnet, denn Musikinstrumente sind vergleichsweise teuer. Ein ehemaliger Schulleiter war wohl aber musikbegeistert und engagiert für die Schüler:innen der Schule, weshalb die Schule ein Euphonium, eine Posaune, 3 Gitarren, einige Geigen, ein Keyboard und ein Schlagzeug besitzt. Ein externer Musiklehrer kommt Mo-Fr in die Schule und ermöglicht den Kindern als zusätzliches Angebot der Schule sehr günstigen Instrumentalunterricht. Weil ich auch Gitarre spielen kann, hab ich ihm deswegen zuweilen ausgeholfen, den Schüler:innen Gitarrengriffe beizubringen. Von meinem Euphoniumspiel waren viele in der Schule sehr angetan und begeistert – denn derzeit kann niemand in der Schule diese Instrumente spielen oder beibringen, weswegen sie nicht bespielt werden. Die positive Reaktion auf meine musikalischen Einlagen löst sehr ambivalente Gefühle aus. Auch wenn ich nicht schlecht Euphonium spielen kann, ist der Hauptgrund, wieso ich dieses Instrument so spielen kann und nicht eines der Kinder dort: die materiellen Rahmenbedingungen.
Ich hatte eine Kindheit/Jugend in Deutschland und ein Elternhaus, das Musik achtete und genug finanzielle Ressourcen freimachen konnte. Das Lernen eines Instrumentes war realisierbar, sodass ich regelmäßig Instrumentalunterricht bekommen konnte und – noch viel wichtiger – ein eigenes oder geliehenes Instrument zum Üben daheim haben konnte. Auch in Deutschland ist Musikunterricht und -ausstattung teuer, hier jedoch für viele schlicht unbezahlbar bzw. keine Priorität vor anderen notwendigen Ausgaben. Die Instrumente der Schule werden nicht an die Kinder für zuhauseverliehen, da die Gefahr, dass die Instrumente kaputt gehen oder bei den Familien gestohlen werden (aufgrund ihres Wertes) zu hoch ist. Unter diesen Rahmenbedingung ist das Lernen eines solchen Instrumentes wirklich unwahrscheinlich, aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es einige Jahre des Übens brauchte, um wirklich eine dauerhaufte Spielfähigkeit zu erlangen. Nichtsdestoweniger ist die generelle Möglichkeit der Kinder, überhaupt Musikunterricht zu bekommen und Musik machen zu können, eine tolle Sache. Ich bin froh, die Möglichkeit gehabt zu haben, mich musikalisch in das Schulleben einzubringen und bin demütig ob dieser Erkenntnis, wie sehr Talent und Fähigkeiten davon abhängen, ob sie unter gewissen Bedingungen – wie bei mir – sich entwickeln können, oder nicht. Denn mich selbst als musikalisch talentierter zu sehen als viele der Schüler:innen hier wäre schlichtweg unreflektiert und auch falsch. Die Musikstunden, die ich in der Klasse halten durfte, haben mir die Musikalität der Kinder bewiesen.
Respekt vor diesem Schulalltag
Ganz generell macht mich demütig zu sehen, unter welchen Rahmenbedingungen die Lehrer:innen hier arbeiten und wie gut sie das innerhalb dieser Bedingungen machen. Ich hatte schon die Klassengrößen mit 40 +/- X Schüler:innen erwähnt; in public schools, die gar kein Schulgeld erheben, sind es sogar 50+ Kinder. Bei so einer großen Klassengröße ist es sogar bei gutem Benehmen und ernsthaftem Interesse der Schüler:innen am Unterricht fast nicht möglich, eine ruhige Atmosphäre zu schaffen. Dementsprechend ist der Geräuschpegel eine Herausforderung, die ich so auch selten erlebt habe. Um gehört zu werden, muss man in der Lehrrerinnenrolle (für mich ungewohnt) laut sprechen. Auch die Rolle von Disziplin und Regeln ist eine viel größere. Empfand ich in den ersten Wochen diese Wertigkeit von Disziplin und Still-Sitzen noch sehr befremdlich und wenig kindgerecht, musste ich mit den folgenden Wochen auch immer mehr feststellen, dass viele Abläufe ihre notwendige Berechtigung haben. Lehrer:innen treten oft autoritärer auf, als ich es selbst täte, dies darf jedoch nicht getrennt von den Rahmenbedingungen des Unterrichts bewertet werden.
Weitere Charakteristika für Lehrer:innen hierzulande: kein Referendariat, sondern ein 4-jähriges Studium mit verhältnismäßig wenigen Praktika. Alle praktische Erfahrung und das eigentliche Unterrichten muss dann in medias res gelernt werden. Der Verdienst für (verbeamtete) Lehrkräfte liegt bei ca. 30.000R, das sind etwa 1500€, mit den Dienstjahren steigt das nochmal etwas. Dafür müssen die Lehrkräfte aber eine viel größere Zeitanzahl in der Schule und vor allem im Klassenziemmer verbringen als z.B. in Bayern. Durchschnittlich haben sie eine Stundenverantwortung Mo-Do von 8-14:20; Fr von 8-13 Uhr. Präsenzpflicht in der Schule ist Mo-Do bis 15 Uhr, Fr bis 14 Uhr. Zwar unterrichten die Lehrkräfte nicht ganz alle Unterrichtsstunden, meine Praktikumslehrerin beispielsweise hatte aber pro Tag nicht mehr als eine Doppelstunde frei (das sind 60min, eine Stunde sind 30Minuten-Einheiten). Somit „betreuen“ die Lehrkräfte einfach auch einen Großteil des Tages die Schüler:innen. Bei dieser Präsenzzeit in der Klasse ist sowieso wenig Zeit übrig für ausführliche Stundenvorbereitungen. Aus all diesen Aspekten ergibt sich ein realistisches Bild, wie viel Aufwand eine sogar engagierte Lehrkraft in liebevoll aufbereiteten Unterricht stecken kann. Somit ist Workbook-Arbeit oder das Abarbeiten von Arbeitsblättern sehr gängig, auf den ersten Blick vielleicht methodisch-didaktisch ausbaufähig, vor allem für die Motivation der Schüler:innen. Jedoch in diesen Rahmenbedingungen wohl die pragmatischste Art, manche Stunden des Tages zu füllen.
Im Großen und Ganzen war ich mit der Zeit eher beeindruckt, wenn die Lehrkräfte in diesem Setting guten und motivierenden Unterricht machen und trotzdem noch eine liebevolle Beziehung mit ihrer Klasse unterhalten, auch wenn sie eine ausgeprägte Autorität vertreten müssen, um sich zu behaupten. Zwar habe ich häufig keine neuen Methoden gelernt, dafür aber, wie viel auch hier wieder von materiellen Rahmenbedingungen abhängt. Ich habe nämlich viele gute Lehrkräfte dort erleben dürfen, Lehrer:innen, die in manchen Stunden ihre Klasse für die unspektakulärsten Themen begeistern konnten trotz ohrenbetäubender Geräuschkulisse. Ich habe viele pädagogische Arbeit für den Selbstwert und die Entfaltung von Kids gesehen und häufig genug auch eine liebevolle und unterstützende Beziehung der Lehrkräfte zu den Schüler:innen. Dass diese Lehrkräfte auch gut auf- und vorbereiteten Unterricht machen können, ist aber tatsächlich wohl auch viel eine Frage der Ressourcen.
Ich gehe mit vielen Eindrücken, tollen Momenten und neuen Gedanken nachhause und bin unglaublich dankbar für die Chance, hier gewesen sein zu dürfen. Alle Freund:innen hier habe ich ins Herz geschlossen und werde all das im Herzen tragen auch wenn ich nicht mehr hier bin. Ein toller Abschluss für eine viel tollere Zeit hier in der Sonne Südafrikas.