Neuseeland,  Nordinsel,  Wellington

Die erste Schulwoche in der South Wellington Intermediate School

Die erste Schulwoche begann montags mit dem ersten Schultag nach den Ferien. In den ersten beiden Tagen der Woche trafen sich nur die Lehrer, um organisatorische Sachen zu besprechen und alles für das kommende Schuljahr vorzubereiten.

Da meine Gastfamilie in Tawa wohnt, machen wir uns jeden Morgen um spätestens sieben mit dem Auto auf den Weg, setzen Prue in der Innenstadt bei ihrem Büro ab und fahren dann weiter in die Schule. Offiziell beginnt der Schultag um 8.45, wir dagegen kommen schon gegen halb 8 an. Howard hat als einer der beiden Konrektoren viel Büroarbeiten in der Schule zu erledigen und muss deshalb morgens, wie auch nach offiziellem Schulschluss recht lange im Büro bleiben, was für mich mehr Zeit in der Schule bedeutet. Aber Zeitabsitzen bin ich ja aus meiner eigenen Schulzeit gewöhnt…

Nacheinander trudelte am ersten Tag das ganze Kollegium ein und während die erste Lehrerkonferenz stattfand, nahmen sich die teacher aides (ähnlich zu unseren Schulbegleitern in Deutschland) Zeit für uns und führten uns durch die Schule. Nach dem morning tea, der ersten Pause während des Schultags, fand die große Konferenz für das gesamte Schulpersonal statt. Dort bekam jedes neue Mitglied Gelegenheit sich vorzustellen und so wurden auch wir begrüßt. Neben den Lehrern und den teacher aides, arbeitet in jeder Schule noch ein Guidance Counselor (Schulberater, in NZ ein eigener Studiengang mit viel Psychologie etc, Mischung aus Schulpsychologe und Beratungslehrer).

Jeder Mitarbeiter erhielt ein Willkommenspaket mit Informationsmaterial, verschiedenen Büroartikeln und eine der Kiwisüßigkeiten: ein Marschmallowfisch mit Erdbeergeschmack von Schokolade umhüllt-sehr eigener Geschmack.  [Weil man es auf der Verpackung nicht gut lesen kann, geschrieben steht: chocolate covered marshmallow fish AS KIWI AS…] ..so kiwi wie die Schokoladensandalen auf der Verpackung, was sich gut an jedem zweiten Neuseeländer beobachten lässt, der in FlipFlops in der Stadt unterwegs ist.

Die Konferenz hielt Traci ab, die Schulleiterin der SWIS- South Wellington Intermediate School. Seit vier Jahren besetzt sie nun den Posten. Sie ist eine kleine drahtige Frau, mit Kurzhaarschnitt in grau und schwarz, meist mit unglaublich hohen Schuhabsätzen und tiefen Ausschnitten unterwegs, mehreren Tattoos hinter dem Ohr und auf den Armen −kurz gesagt, schwer vorstellbar so eine Schulleiterin in Bayern zu finden.

Im Vergleich zu den Schulen, die ich bisher in Europa kennen gelernt habe, gibt es einige Besonderheiten an der SWIS. Zum einen natürlich die Schule selbst, die als Intermediate School nur die Jahrgangsstufen 7 und 8 beherbergt. Anschließend besuchen die Schüler eine Highschool oder ein College. Jede einzelne Klasse hat eine Hälfte Siebt- und eine Hälfte Achtklässler und wird von einem Klassleiter betreut. Ein Te Reo-Lehrer unterrichtet die Sprache der Maori einmal im Jahr für eine bestimmte Zeit in jeder Klasse und arbeitet die übrigen Stunden als Vertretungslehrer. Alle Kinder tragen einheitlich eine Schuluniform mit Shorts in unisex-Größe, was bei manchen unerwarteterweise tatsächlich Raum für Spekulationen lässt, welchem Geschlecht sie angehören. Oft ist die Belohnung, nachdem in einer Klasse gemeinsam viele Token gesammelt wurden, dass sie einen mufti day bekommen, an denen sie ohne Schuluniform und in ihrer selbstgewählten Kleidung kommen dürfen.

Ein typischer Schultag läuft in der Regel folgendermaßen ab:

8.45 School start + 1st learning block
10.05 Morning tea (kleine Pause)
10.25 2nd learning block
12.55 Lunch break
13.35 Last block
14.50 Homeroom (Klassenzimmer)
15.00 End of school day

 

Sowohl am ersten als auch am zweiten Schultag sorgte die Schule für ein Mittagessen und so gab es an beiden Tagen Gegrilltes und Salate mit Brot, Obst und Kuchen. Man kann wohl nie genug Barbecues in NZ haben…

Den zweiten Schultag verbrachten wir mit einer Fortbildung über PB4L, Positive Behaviour for Learning. Dafür kamen ein Psychologe und eine Lehrerin und gestalteten das Programm. Zu Beginn teilten sie Süßigkeiten sowie Blöcke, Stifte, aber auch Knete und verschiedene Zeitvertreibspiele aus.

Dazu erklärten sie, sie wollten die Fortbildung so angenehm wie möglich gestalten und man darf gerne währenddessen Knobeln oder Kneten, wenn man so besser zuhören könne.

Wesentliche Kernaussagen des Programms sind das Lehren und Vorleben von gutem Verhalten anstelle des Bestrafens unangemessenen Verhaltens. Dazu führte der Psychologe anfangs das Zitat von Herner an.

Im Wesentlichen geht es auch darum als Schule eine Art Wertesystem zu entwickeln mit Regeln, die eingehalten werden müssen, um eine angenehme Atmosphäre für jeden der Schulgemeinschaft und ein gemeinsames Miteinander zu schaffen. So sind die drei Grundsätze, die SWIS für sich gewählt hat und nach denen jeder handeln soll: Safe, respectful, responsible. Gemeinsam wurde während des Tages herausgearbeitet, wie diese im Klassenzimmer und in der Schule umgesetzt werden können und wie mit herausforderndem verhalten von Kindern und Jugendlichen umgegangen werden soll.

“If a child doesn’t know how to read, we teach.”

“If a child doesn’t know how to swim, we teach.”

“If a child doesn’t know how to multiply, we

teach.”

“If a child doesn’t know how to drive, we teach.”

“If a child doesn’t know how to behave, we… …

teach?… punish?”

“Why can’t we finish the last sentence as

automatically as we do the others?”

Tom Herner (NASDE President ) Counterpoint 1998, p.2

 

Am Donnerstag wurde ich in Room 16/17 eingeteilt, zu Richard und Emily, die sich dort das Klassenzimmer teilten und mehr oder wenig im Lehrertandem unterrichten. Bei 50-60 Kindern in gut 40m2 ist das nicht nur lautstärkemäßig eine

Herausforderung. Wie mir Howard aber erklärte, genehmigt die NZ Regierung für neue Klassenzimmer und gegründete Klassen an Schulen fast ausschließlich diese Art von Klassenzimmern und Unterrichtsmodell. In der SWIS gibt es derzeit drei teacher pairings, wie sie hier genannt werden.

Alle Schüler und Lehrer trafen sich in der Turnhalle und die Lehrer lasen ihre Klassenlisten vor. Die genannten Schüler standen auf und folgten den Lehrern in ihre Klassenzimmer. Dort verging die erste Zeit bis zum morning tea recht schnell mit organisatorischen Einführungssachen, vor allem, weil sowohl Richard, als auch Emily seit diesem Schuljahr neu an der Schule waren.

Nach der Pause ging es für alle zurück in die Turnhalle und es wurde die für den nächsten Tag anstehende Powhiri- Zeremonie geprobt. Dafür gibt es anfangs das Haka (dance of challenge and welcome; chant accompanying a dance with actions), eine Art Versgesang, der mit Bewegungen begleitet wird. Alle Mitglieder der Schulgemeinschaft übten diese ein. Ein großer Teil der Verse wird gerufen und weil alle Schüler zu leise waren und sich nicht recht trauten, übten wir eine Stunde nur diesen Teil der Powhiri. Irgendwann konnten sie die Verse auswendig und die Bewegungen, aber wirkten nicht recht überzeugend. Hohaia, der Te Reo– Lehrer, stand auf und fing an, den Jugendlichen zu erklären, was hinter den Versen und den Bewegungen steckte. Er erzählte, dass sie sich Krieger vorstellen müssten, die ihr Boot, das waka. An Land und den Hügel hinaufzogen. Müde und abgekämpft durften sie ihre Schwäche aber nicht zeigen und stark das Haka durchführen. Er instruierte die Schüler sich einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand zu suchen und diesen zu fixieren und nicht den Fokus zu verlieren, während sie sprachen und sich bewegten. Diese Erzählung bewegte die Schüler tatsächlich und so sangen und bewegten sie sich weitaus stärker, einheitlicher und fokussierter.

Wir übten ein Lied ein, das ebenfalls während der Zeremonie gesungen werden sollte. Anschließend waren die Schüler in ihre Klassen entlassen und wir kehrten zurück ins Klassenzimmer für de letzten Unterrichtsstunden. Die Mittagspause für die Kinder ist gute 40 Minuten lang und während die Kinder ihre Pause um Hof verbringen, kommen im Lehrerzimmer fast alle Lehrer zusammen und essen gemeinsam, was eine schöne Sache ist.

 

Am Freitag waren alle morgens aufgeregt und die Diskussion über die Kleiderordnung hielt weiter an. Letztendlich war eine gute Mischung von allen Verständnissen ‚formeller‘ Kleidung zu finden. Howard beschwerte sich die ganze Fahrt in die Schule über, dass er eine lange Hose und ein Hemd tragen müsse und kündigte an, sofort nach der Feierlichkeit in seine Shorts, sein Trikot und seine Sneakers, die sobald die Schüler weg sind, ohnehin täglich gegen Flipflops getauscht werden.

 

Der ganze Hof war voller Eltern und Siebtklässler und ich wunderte mich bis zuletzt, wie die ganze Horde in die kleine Halle passen sollte. Die Achtklässler und das Lehrerkollegium versammelten sich bereits in der Halle, nur die neuen blieben draußen. Es zog sich recht lange hin, aber die zeit wurde gut genutzt, um uns weiter nervös zu machen. Nacheinander erzählten uns die Leute um uns rum vom Hongi, das ebenfalls bei der Zeremonie durchgeführt wird und ein wesentlicher Bestandteil davon ist. Das ist die typische Maori-Begrüßung, bei der sich die Nasen und Stirne berühren, die Augen kurz geschlossen werden und zusammen eingeatmet werden sollte- man teile also einen Atem. Dieser Hongi wird in manchen Fällen, wenn Frauen begrüßt werden, aber auch durch einen Kuss auf die Wange vollzogen. Auf meine Frage, wann ich denn wisse, welche Option mein Gegenüber wählt, lachte eine der neuen Kolleginnen nur kurz auf und meinte, ‚that’s the fun part, you never know!‘. Das wäre auch der Grund, warum es ihr schon zwei Mal passiert sei, dass sie jemanden auf den Mund geküsst hätte. Als wäre das nicht schon genug für eine Deutsche, die Wert auf genug Abstand und Distanz zu fremden Leuten legt, wurde uns außerdem erklärt, dass wir diesen Hongi mit jedem Lehrer aus dem Kollegium teilen würden, nicht gerade das, was ich mir wünschen würde. Rauru, der zweite Deputy Principal, der mir meine Skepsis wohl ansah, meinte nur, ‚as soon as you touched someone’s nose, it’s way easier being around, barriers fall quite easier.‘, das wiederum konnte ich mir lebhaft vorstellen.

Pōwhiri – das Maori- Willkommensritual

Ein Pōwhiri findet normalerweise in einem Marae, einer Māori Versammlungsstätte, statt. Ein Marae bildet das Herz jeder Māori-Gemeinschaft. Wo aber auch immer Gäste in einer Gemeinschaft willkommen geheißen werden, wird eine Pōwhiri -Zeremonie abgehalten, so werden Schüler sowohl in der Grundschule, als auch beim Eintritt zu jeder weiterführenden Schule mit der Pōwhiri begrüßt und in die Gemeinschaft eingeführt. Die Mitglieder der bestehenden Gemeinschaft heißen Tangata whenua.

Während die Achtklässler mit dem Lehrerkollegium in der Halle das haka abhielten, riefen drei Mädchen vor dem Eingang die Willkommensrufe aus und so zogen die Schüler mit ihren Eltern in die Halle ein und die neuen Mitglieder des Kollegiums -die Manuhiri– mitunter uns, folgten ihnen.

Wir nahmen auf den Stühlen Platz, die für uns gegenüber von den Achtklässlern, die gedrängt auf dem Boden saßen, bereitgestellt wurden. Am Anfang werden die Whaikōrero abgehalten. Rauru eröffnete dementsprechend mit einer Rede in Maori und übersetzte die Kernaussagen dann ins Englische. Hohaia stand anschließend auf und hielt seine Rede auf Maori mit einem Stock, seinem mauri, in der Hand. Seine Ansprache, die er sehr lebhaft abhielt, in dem er immer wieder seine Hände gen Himmel hob und sowohl Mimik als auch Gestik stark einsetzte, hielt er komplett auf Maori und es folgt leider keine Übersetzung. Glücklicherweise war er die letzten beiden Stunden als zusätzliche Lehrkraft im Klassenzimmer 16/17, in dem auch ich den Tag verbrachte und so fragte ich ihn später wovon er gesprochen hatte. Er erzählte folgendes: Zunächst hieß er die Götter willkommen, als erstes den wichtigsten Gott. Dieser würde mit einem großen Korb dargestellt werden, voll mit Weisheit und klugen Gedanken. Er bat ihn darum, Ideen Gedanken und seine Weisheit mit uns zu teilen. Dann dankte er allen anderen Göttern. Weiterhin hieß er alle Vorfahren willkommen, die uns an diesem Tage begleiten, da von jedem Teilnehmenden die Urahnen erscheinen würden. Dann sprach er über den ersten Stamm und die erste Siedlung der Insel, die nahe dem Hafen gegründet wurde. Von der ausgehend führen zwei Hauptwege in die Hügellandschaft hinauf auf den Berg. Er dankte dieser Siedung und nannte neben dem Maori- auch ihren Englischen Namen. Dann bedankte er sich für die Einladung in das Gebäude und die willkommen heißende Gemeinde, die eingeladen hat und er bedankte sich für die Eltern, die ihre Kinder begleiten und die Kinder selbst, die teilnahmen. Er appellierte an die Achtklässler, ihr Selbstvertrauen und ihre Stärke mit den Siebtklässlern zu teilen und sie zu unterstützen in den ersten aufregenden Tagen, an denen die Neuankömmlinge sicher nervös wären. Er erklärte mir außerdem, dass zum Schluss normalerweise eine kleine Geschichte, ein Gedicht oder ähnliches folgt. Er entschied sich dafür, von einem der Bäume zu erzählen, die zwei neue zweige entsprießen lassen, wenn ein Ast abgeschnitten wird. Wir dagegen sterben und wenn wir tot sind, wächst nichts Neues, sondern wir sind tot. Deswegen sollen wir vorsichtig mit unserem leben sein, gut auf uns aufpassen und bedacht und verantwortungsvoll handeln und leben.

Anschließend wurde von uns neuen ein waiata– Lied auf Maori gesungen und daraufhin stellten sich alle alten Lehrer des Kollegiums in einer Reihe auf. Auch wir standen nacheinander auf, formten eine Schlange, gingen zu dieser und wurden von jedem einzelnen mit dem Hongi begrüßt. Es war nicht halb so unangenehm wie erwartet, die meisten fügten noch die ein oder anderen Willkommenssätze hinzu und jeder war sehr herzlich. Nach dieser Begrüßung wurde wieder ein gemeinsames Lied gesungen, daraufhin hielten die beiden Deputy Principals noch eine kleine Dankesrede an die Eltern und begrüßten die neuen Siebtklässler.

Harirū and hongi

At the conclusion of the formal proceedings the manuhiri will be invited to come and hongi (press noses) and harirū (shake hands) with the tangata whenua. Traditionally, whether male or female, participants would hongi. After European settlement, the kiss was introduced, and instead of a hongi men and women would kiss other women. Many marae now insist on a return to the traditional method where only hongi and harirū occurs.

 

Jeder Lehrer las danach seine Klassenliste vor und die Siebtklässler standen auf und folgten ihnen in die Klassenräume.

Im Anschluss an die Powhiri gibt es immer ein Art Fest, Willkommensempfang, das sogenannte Hākari. In der SWIS-Tradition begrüßen die Achtklässler mit Saft und Keksen ihre neuen Mitschüler im Klassenzimmer und speisen gemeinsam. Im Lehrerzimmer gab es für die Eltern, die dort die Lehrer antreffen konnten, um das Kollegium kennen zu lernen, Kaffee, Tee und alle möglichen Snacks.

Den Rest des Tages verbrachten die einzelnen Klassen damit, eine Führung übers Schulgelände zu machen. So schlossen sich immer zwei Siebt- und zwei Achtklässler zu Vierergruppen zusammen. Sie erhielten ebenfalls den Auftrag, verschiedene Gegenstände auf ihrer Tour zu sammeln. So sollten sie beispielsweise etwas durchsichtiges, etwas runder, etwas lebendes, etwas grünes, etwas scharfes, etc. mitbringen. Dem ‚etwas lebendes‘ blickte ich nicht so freudig entgegen. Zum Glück kamen nur wenige mit Spinnen und andere Insekten zurück.