Chile,  Temuco

Mari mari kom puche!

Bedeutet so viel wie „Hallo alle zusammen“ auf ‚Mapuzungun‘, der Sprache der indigenen Bevölkerung Chiles, den ‚Mapuche‘ und damit herzlich willkommen zu meinem Einblick in das Leben in Südamerika. Genauer gesagt Mittel-Chile, wobei das bei einem Land von über 4000 Kilometer Länge immer noch ziemlich vage ist. Projiziert auf Europa würde sich Chile vom Nordkap bis nach Gibraltar ziehen, einmal quer durch Europa! Dabei befindet sich im Norden die Atacamawüste und im Süden bei Patagonien beginnt die Antarktis. Dafür ist das Land sehr schmal. Von der Pazifikküste bis zu den Anden sind es gerade einmal 120 Kilometer. Und hinter den Anden beginnt dann Argentinien.

Und ich befinde mich…

…in der Mitte! In der Region Araukanien, nahe der Großstadt Temuco. Mein Projekt, die Interkulturelle bilinguale Schule Trañi Trañi befindet sich in einer sehr ländlichen, ärmlichen Gegend, die man nur auf Schotterpisten erreichen kann. Hier sind bisher lediglich die großen Zufahrtsstraßen geteert, kleinere Straßen sind oft unwegsam und buckelig. Auch freilaufenden Tieren wie Kühen, Pferden und Schweinen begegne ich bei der Fahrt zur Schule häufig. Nach 15 Minuten Fahrt in die Felder erreicht man die blau gestrichenen Schulgebäude. An den Fluren und Wänden sind zahlreiche selbstgestaltete Dekorationen zu finden, häufig künstlerische Ornamente und Symbole der Mapuche. Im Pausenhof im hinteren Teil der Schule steht eine ‚Ruka‘. Ein schöner Ort des Zusammenkommens, der Gemeinschaft und des Musizierens für die Mapuche. Im schulischen Kontext wird die Hütte aus Holz mit Strohdach für die Fächer ‚Indigene Sprache‘ und ‚Musik‘ häufig genutzt. Außerdem bietet die Ruka einen pädagogischen Rückzugsort. Konflikte und Probleme werden in der Ruka, rund um ein Feuer in der Mitte, gemeinsam besprochen und gelöst. Auf eine vertrauensvolle und persönliche Beziehung zu den SchülerInnen legen alle hier sehr viel Wert. Für jedes Kind wird sich die Zeit genommen, die es braucht. Obwohl es nur 64 SchülerInnen sind, gibt es zwei festangestellte Förder- und Integrationslehrkräfte, die sich um Kinder mit besonderem Förderbedarf herzlich annehmen. Aber auch alle anderen Lehrkräfte sind immer darum bemüht, dass die Kinder in einer Umgebung aufwachsen können, in der sie sich sicher, geborgen und wertgeschätzt fühlen. Das ist leider bei vielen der Kinder im Elternhaus nicht der Fall, weshalb man sehen kann, wie gut es den Kindern tut, jeden Morgen eine Umarmung zu bekommen, ein kurzes Gespräch und auch ein gemeinsames Frühstück.

Ein Blick in die Ruka…

Eine Herzensangelegenheit der Schule ist es außerdem, den Kindern die Facetten der Mapuche-Kultur näherzubringen – und so auch mir – damit die Traditionen, Bräuche und auch die Sprache nicht in Vergessenheit geraten. Im Schulfach Indigene Sprache lernen die Kinder Grundlagen des Mapuzungun. Einige der Kinder beherrschen bereits Basiswissen, vor allem wenn sie selber Mapuche sind und ihre Eltern oder Großeltern die Sprache noch beherrschen, was aber immer seltener wird. Außerdem lesen die Kinder alte Legenden und spannende Fabeln rund um das Feuer in der Ruka von auf Mapuzungun vor und interpretieren sie auf Spanisch. Diese Geschichten enden häufig mit einer Moral. Im Fach ‚Musik‘ werden in der Ruka häufig Instrumente ausprobiert, wie das ‚Kultrun‘, eine Trommel mit bemaltem Lederbezug. Diese wird vor dem Musizieren nahe an das brennende Feuer gelegt. Durch die Wärme spannt sich die Haut, um danach besser trommeln zu können. Man sagt hier auch, das die Nachfahren von Mapuche, vor allem die Kinder von Stammesanführern, den ‚Loncos‘, den richtigen Rhythmus zum Trommeln im Blut haben. Die anderen spielen derweil zum Beispiel ‚Pifilka‘, eine Flöte oder das Horn, die ‚Trutruka‘. Das Kultrun ist eine runde Trommel, die mit ihrer Form die Erde repräsentieren soll. Wie auf dem folgenden Bild zu sehen ist, wird der Kreis mit Farbe in vier Bereiche unterteilt. Diese stehen einerseits für die verschiedenen Himmelsrichtungen, andererseits für die vier Jahreszeiten. Die Kreisform hat für die Kultur eine besondere Bedeutung, so erinnert die Form der Schule und ihre Klassenzimmer an Kreise. Außerdem ist in jedem Raum die Sitzordnung als Kreis ausgerichtet. Ein Lehrer erklärte mir, dass das wichtig ist, damit jeder miteingeschlossen ist und jeder ein gleicher Teil des Ganzen ist.

Und so sieht ein selbstgebasteltes Kultrun aus…

Jeden Montag findet eine Formation – die Vollversammlung der Schule – statt. Die Kinder begrüßen die Lehrkräfte auf Mapuzungun und bitten alle zusammen für gute Gedanken, ein gutes Herz und Energie für den Tag. Dabei stehen alle in Himmelsrichtung Osten ausgerichtet und begrüßen den Aufgang der Sonne und damit die Energie, die sie für den heutigen Tag bekommen. Insofern spielt der Stand der Sonne eine wichtige Rolle und Gebäude der indigenen Bevölkerung verfügen alle über eine Tür, die Richtung Osten geöffnet werden kann.

Auch außerhalb der Schule habe ich die Möglichkeit bekommen, näher in die Kultur der Mapuche einzutauchen. Ich wurde von einer Lehrerin und ihrer Familie mitgenommen, um ein „Palin“ zu sehen. Dabei handelt es sich um eine Sportart, die ähnlich zu dem uns bekannten Feldhockey ist. Jedoch spielen die meisten Männer hier barfuß, um konstant Energie von der Erde zu beziehen. Angefeuert werden die Spieler von ihren Familien und der Musik der Pifilkas, der Kultruns und Trutrukas. Nach dem Spiel findet ein Tanz statt, um sich bei den Göttern der Mapuche zu bedanken. Im Anschluss daran gibt es dann ein typisch chilenisches Asado, also Grillfest.

Es gibt hier so viel Neues für mich zu entdecken und ich bin wirklich dankbar für die offene, interessierte und hilfsbereite Art der Menschen hier, ihre so vielfältige Kultur mit Freude mit mir zu teilen!