Als ich wieder aus Ayacucho, oder wie die Einheimischen auch sagen Huamanga zurück war, fragten mich zu Hause alle, wie es denn gewesen wäre. Meine erste und spontane Antwort war „anders“. Denn für mich unterschied sich das Leben in Ayacucho in so vielen Punkten zu dem Leben, das ich von Zuhause kannte. Auch wenn ich anfangs noch von der Andersartigkeit überwältigt, ja teilweise auch leicht überfordert, so stand für mich am Ende meines Aufenthalts fest, dass ich während meiner Zeit in Peru unzählige wertvolle, interessante und wunderschöne Erfahrungen gemacht hatte und es daher sofort nochmal machen würde.
Aber nun nochmal von vorne: nach einem 16-stündigen Direktflug von Madrid nach Lima, kam ich nach 11h Busfahrt (Nachtfahrt mit dem Busunternehmen Cruz del Sur, das direkt in Ayacucho eine Filiale hat) schließlich in Ayacucho an und fühlte mich für einen kurzen Moment ein wenig verloren. Doch ab diesem Moment zeigte sich mir die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Peruaner, mit deren Hilfe ich schließlich zum Kinderhaus Casadeni fand. Dort angekommen wurde ich direkt ins alltägliche Geschehen und das Projekt eingebunden. Es stand zwar noch nicht fest, wo ich für die Zeit meines Aufenthalts schlafen sollte, aber erstmal stand eine Besprechung auf dem Programm. Hier erwiesen sich mir meine Spanisch Kenntnisse als sehr hilfreich, denn die Einheimischen können selten eine andere Sprache als die Landessprache. Von den Älteren sprechen auch ein paar Quechua, aber um diese Sprache zu lernen, war meine Zeit in Peru dann doch zu kurz. In der Besprechung kristallisierte sich heraus, dass meine Aufgabe für die nächsten sechs Wochen darin bestehen sollte, sowohl vormittags als auch nachmittags verschiedene „talleres“ (zu Deutsch: Mitmachangebote) für die Kinder zu erarbeiten und mit ihnen durchzuführen. In meinem Fall lief es auf die Angebote Englisch und Turnen hinaus. So befand ich mich nach einer zweiwöchigen Planungsphase schließlich in der notdürftig zum Klassenzimmer umgewandelten Bibliothek und brachte den Kindern ihre ersten Worte auf Englisch bei oder baute mit den Fortgeschrittenen zusammen ihr Wissen aus. Falls ich für die Aktivitäten bestimmte Materialien brauchte, konnte ich mich jederzeit an die Einrichtung wenden. Im Anschluss daran fand das Mitmachangebot Turnen im Innenhof statt. Mir war von vornherein klar, dass ich hier kein klassisches Geräteturnen betreiben konnte, wie ich es von Zuhause kannte. Aber ich versuchte ganz der peruanischen Manier mit dem klarzukommen, was ich hatte. Denn während meiner Zeit fiel mir sehr positiv auf, dass obwohl die Menschen oft nur sehr wenig besitzen, unheimlich kreativ sind und viele Sachen erschaffen. Auch war es schön anzusehen, wie die Kinder stundenlang mit einfach Spielen und Spielsachen verbringen konnten. Hier hatte man nicht das Geld aufwändige Spielplätze zu bauen und dennoch hatten die Kinder ihren Spaß, indem sie Stunden lang Hinkelkästchen spielten. Eine solch wertschätzende Haltung gegenüber den einfachen Sachen im Leben, konnte ich nicht nur im Bereich der Spiele feststellen. In diesem Sinne funktionierte ich eine Holzlatte kurzerhand in einen Balken um und das Bodenturnen wurde einfach auf dem Steinboden gemacht. Mein Ziel war es, dass die Kinder lernen, die Bewegungen ihres Körpers zu koordinieren und eine gewisse Grundspannung und Körperhaltung entwickeln. Die Kinder hatten auf jeden Fall großen Spaß, waren motiviert dabei und immer begierig Neues zu lernen.
So sah mein Alltag von Montag bis Freitag aus und am Samstag durfte ich dann die einzelnen Erzieher in verschiedene Teile der Stadt begleiten. Denn neben den verschiedenen Angeboten in der Einrichtung, war ein Ziel des Kinderhauses, die arbeitenden Kinder zu betreuen. So fuhr ich mit einer Erzieherin beispielsweise an einem Samstag auf einen Friedhof, wo sich ein paar Kinder ein bisschen Geld damit verdienten, die Gräber zu putzen und das Blumenwasser zu erneuern. Das Ziel der Einrichtung besteht darin, sich einen Überblick über die Anzahl und die soziale Situation der arbeitenden Kinder zu verschaffen und sicherzustellen, dass die Kinder trotz ihrer Arbeit regelmäßig in die Schule gehen.
So war ich mit der Arbeit gut beschäftigt und hatte aufgrund der kurzen Gesamtdauer meines Aufenthalts nicht wirklich die Möglichkeit viel von dem Land selbst zu sehen. Wenn ich also nochmal hinfahren würde, würde ich deutlich mehr Zeit fürs Sightseeing einplanen. Denn schon die paar Sehenswürdigkeiten, die Ayacucho zu bieten hat und die ich mit einer Mitarbeiterin des Kinderhauses, mit der ich mich sehr gut verstanden hatte, besichtigt habe, haben mir sehr gefallen.
Was ich in der Stadt selber ein bisschen anstrengend fand, war der Straßenverkehr, denn dort geht alles drunter und drüber. Der, der am schnellsten auf die Kreuzung zufährt und am lautesten hupt, hatte meistens Vorfahrt. Anfangs fand ich das leicht beängstigend und am Ende ging mir das ständige Gehupe ein bisschen auf die Nerven. Die Sorgen waren jedoch vergessen, sobald ich nach meinem Fußmarsch in der Arbeit ankam und auf viele gut gelaunte und motivierte Menschen traf.
Alle Mitarbeiter des Kinderhauses waren sehr offen und bemüht mich so gut als möglich zu integrieren und in das peruanische Leben reinschnuppern zu lassen. Mein persönliches Highlight des Tages waren die selbstgebackenen Brötchen, die in der Einrichtung produziert werden. Neben dem Programm für die Kinder gibt es nämlich auch Angebote für Jugendliche und Erwachsene. So zum Beispiel das Angebot „pandadería und pastelería“, bei dem die Teilnehmer alles über die Herstellung von Broten, Bocadillos, Gebäck und Torten lernen.
Mittags ging ich mit drei der Erzieherinnen auf den öffentlichen Markt nebenan, wo man sehr preiswert, aber trotzdem sehr lecker essen konnte. Anfangs musste ich mich ehrlich gesagt erst einmal an die Umstände, unter denen man isst und an das was man isst gewöhnen. Auf dem Markt war sozusagen die ganze Lebensmittelkette vertreten, vom lebenden Huhn bis zum Huhn in der Suppe. Doch auch im Bereich der Lebensmittel fiel mir der wertschätzende Umgang auf, denn alles wurde auf gewisse Weise verwertet.
Als sich mein Aufenthalt dem Ende neigte, war nicht nur ich ein bisschen traurig, sondern auch die Kinder meinten, dass ich doch noch länger bleiben soll, am besten ein ganzes Jahr. Die Art und Weise, wie mich die Mitarbeiter des Kinderhauses schließlich verabschiedet haben, hat mich sehr berührt!
Auch wenn ich nur für eine so kurze Zeit dort gewesen war, betrieben sie einen Aufwand, als wäre ich ein ganzes Jahr dort gewesen. In der wöchentlichen Besprechung wurde ich offizielle von der Direktorin verabschiedet und bekam als Andenken eine typisch peruanische Decke (eine die die Frauen meistens verwenden, um ihre kleinen Kinder auf dem Rücken zu tragen). Am Abend haben wir uns dann alle bei Tee und Keksen zusammengesetzt und viele hatten eine ganz persönliche Kleinigkeit für mich, wie ein Armband oder eine Kette mit einem Traumfänger. Wenn ich diese Geschenke heute trage, muss ich immer an meine schöne und aufregende Zeit zurückdenken und werde ein bisschen wehmütig. �