Ayacucho,  Peru

Fernab von Casadeni

Die Kinder gehen gern ins Kinderhaus Casadeni. Sie mögen die Bücher, die Spiele, das Tanzen oder einfach ihre Freunde treffen. Schon morgens, wenn ich zum Tor hereinkomme, werde ich mit schreienden Morgengrüßen empfangen „Miss Ulla, Miss Ulla“. Die Herzlichkeit der Kinder ist unbeschreiblich. Schnell hatte ich das Gefühl angekommen zu sein. Und doch gibt es jeden Tag einen neuen Moment, an dem ich denke, das darf doch nicht wahr sein. Wenn die Kinder im Kinderhaus spielen oder ihre Hausaufgaben machen, dann merkt man, dass zwar jeder seine Geschichte mitbringt, aber hier diese auch ein paar Stunden vergessen kann. Sie spielen und lachen und sind ganz normale Kinder. So verbrachte ich die ersten Tage auch mit einem glückseligen Gefühl, dass es hier diesen Ort gibt, wo all das möglich ist. Nach gut einer Woche, besuchte ich dann ein paar Häuser der Familien. Jetzt wurde deutlich wie der Alltag jeden Kindes, jeder Familie aussieht.

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Norma und ihre vier Kinder waren unser erster Besuch. Wir, Zinthia die Sozialarbeiterin und ich, stiegen aus dem Bus und gingen direkt auf ein Haus zu. Kurz vor dem Eingang bog Zinthia ab und stieg eine Böschung hinunter. Ich, völlig perplex, ging ihr nach und sah, dass Norma und ihre Kinder eine kleine Lehmhütte, aus einem Zimmer bestehend, wo sie alle zusammen schliefen, bewohnte. Draußen gab es einen Wasserhahn mit Schlauch, eine Schubkare, in der die Wäsche gewaschen wurde und ein paar Hühner. Wir warteten ein paar Minuten, als plötzlich Norma mit drei der vier Kindern auftauchte. Das kleine Mädchen hatte nur einen Schuh an, den zweiten habe sie irgendwo verloren. Wir unterhielten uns kurz und machten uns dann auf den Weg, denn Norma musste zu ihrer Mutter, die ein paar Straßen weiter wohnte. Sie ist krank und muss versorgt werden.

Der zweite Besuch war bei Rubí und ihrer Mutter. Rubí kommt mehrmals die Woche ins Kinderhaus, wenn ihre Mutter ins Stadtzentrum fährt, um die Wäsche in einigen Haushalten zu machen. So verdient sie ihr Geld. Als wir zur Gartentür hereingebeten werden und auf den kleinen Vorgarten zugingen sah ich das Feuer brennen und einen Topf mit Suppe darauf kochen. Die Mutter begrüßte uns freundlich und sagte, willkommen in meiner Küche, ich bin gerade am Kochen. Ich musste einmal kräftig schlucken. Dann zeigte sie uns ihr Zimmer. Ein Raum, der mit ein paar Lehmziegel, Folien und Wellblech zusammengestellt wurde. Der Boden war einfacher Erdboden. Es befanden sich zwei Betten, ein paar wenige Regale und ein Tisch darin. Stolz steige uns die Mutter den Fernseher, den sie ganz neu von ihrem Vater geschenkt bekam. In dem kleinen Zimmer, wohnt Rubí, ihr Bruder, der an der Universität in Ayacucho studiert und ihre Mutter. Eine kleine Glühbirne brachte den dunklen, feuchten Raum zum Leuchten. Rubí brauchte Hilfe bei den Hausaufgaben, also saßen wir uns zusammen an den Tisch und halfen bei ihrer Biologieaufgabe. Im Garten gab es einen Wasserhahn und einen Plastikvorhang. Das war das Badezimmer. Der Vater hat die Familie verlassen. Seit einem Jahr dürfen sie nun in dieser Wohnung wohnen und müssen nur den Strom bezahlen.

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Ein Besuch, den ich wohl so schnell nicht vergessen werde. Es folgten noch weitere Besuche bei Familien, die zumindest in etwas besseren Häusern wohnten, aber die Umstände schienen nicht besser zu sein. Zerrüttete Familien, in denen eine Tante den Neffen bei sich aufnimmt, weil die Mutter sich nicht kümmern kann oder eine andere Tante, die ihre Nichte aufnimmt, weil die Mutter verstorben ist und der Vater die Tochter nicht akzeptiert. Und plötzlich versteht man die Kinder ganz anders, wenn sie auf einem zukommen und einfach eine Umarmung oder eine liebevolle Berührung wollen. Zuneigung spüren und das Gefühl zu haben geliebt zu werden.

Für mich waren die Besuche bei den Kindern zu Hause die schwersten Tage. Als ich unter der warmen Dusche stand oder mich in mein sauberes, warmes Bett legte, wurde ich nachdenklich. Als ich an mein Leben in Deutschland dachte, schämte ich mich schon fast.

Es liegt noch eine Woche vor mir. Die Zeit rast. Bald hört ihr mehr über den Alltag im Kinderhaus. Eure Ulla