Norwegen,  Oslo

Abiturienten vs. Russe

Weil es in keinen meiner beiden Beiträge so richtig reinpasst, ich es aber trotzdem sehr interessant finde, schreibe ich noch einen dritten. Hier soll es über die Russe gehen.

Russe werden die Schüler*innen bezeichnet, die sich im Abschlussjahrgang des Gymnasiums befinden. Nachdem die Schüler*innen bis zur 10. Klasse zusammen in einer Schule sind, ähnelt das norwegische Gymnasium der deutschen Fachoberschule (FOS). Hier sind die Schüler*innen drei Jahre und erhalten am Ende ihre Zulassungsbescheinigung für Universitäten und Hochschulen. Während in der 11. Klasse keine „Abschlussprüfung“ geschrieben werden muss, gibt es ab der 12. Klasse ein (für mich) sehr komplizierte Losverfahren. In der 12. Klasse muss jede*r Schüler*in in einem Fach eine Abschlussprüfung schreiben, wobei dieses eben aus allen belegten Fächern ausgelost wird. In der 13. Klasse werden vier Prüfungen geschrieben, wobei Bokmål (Norwegisch) auf alle Fälle schriftlich geschrieben wird. Bei den restlichen Fächern entscheidet wieder das Losverfahren, in welchem Fach man schreiben muss und ob man diese Prüfung schriftlich oder mündlich hat. Ehrlich gesagt kann ich immer noch nicht zu 100% unterschreiben, dass ich das Prinzip jetzt richtig verstanden und erklärt habe.

Aber zurück zum eigentlichen Thema: Anders als in Deutschland, fangen die norwegischen Russe schon vor ihren Prüfungen an zu feiern. Klingt komisch, ist es für mich als Deutsche tatsächlich auch. Wenn ich  an meine Zeit vor den Abiturprüfungen zurückdenke, kann ich mich nur an sehr viel Lernzeit erinnern ;). Cool ist auf alle Fälle, dass sich Gruppen von Russe zusammen einen Bus (meist von den vorherigen Russe) kaufen und diesen dann während der Russetid verwenden, um darin zu feiern, aber auch mit ihm zu abgemachten Partyplätzen fahren. Meine Russeschüler*innen haben mir erzählt, dass man insgesamt mit ca. 5.000€ rechnen muss, wenn man bei der Russetid mitmachen möchte. Viele von ihnen gehen nur dafür schon bereits Jahre davor zum Arbeiten. Die Russe erkennt man gut an ihren selbst gestalteten Blaumännern, die je nach Schule entweder blau oder rot sind.

Als ich mich gewundert habe, warum kleine Kinder zu Russe rennen und dann mit Karten wieder weglaufen, wurde mir erklärt, dass jeder Russe eine eigene Visitenkarte hat. Die kleineren Kinder sammeln diese wie wir früher die WM-Sticker.

Bis hierhin kann man sich vielleicht denken, schön und gut, lasst sie feiern. Naja, die Russe feiern aber nicht nur am Wochenende, sondern auch unter der Woche. Das bedeutet auch, dass viele der Russe direkt vom Feiern in die Schule kommen. Das Handelsgymnasium kommt ihnen dann so weit entgegen, dass sie zur Russetid ihre Türen schon um 7 Uhr öffnen und die Russe duschen können und ein Frühstück bekommen. Wer es um 8:15 Uhr nicht auf seinen eigenen Beinen ins Klassenzimmer (im 3. Stock) schafft, wird heim geschickt. Durch Erzählungen einiger Lehrkräfte hätte ich mir das ganze tatsächlich schlimmer vorgestellt, muss mich aber trotzdem noch an den Anblick gewöhnen, dass halbtote Russe im Pausenhof liegen und ihren Rausch ausschlafen, oder dies dann halt doch während der Unterrichtszeit machen.

Eine witzige Tradition vielleicht noch zum Abschluss. Ich musste ziemlich lachen, als ich abends vom Tanzen heimgelaufen bin und Russe gesehen habe, die den Berg zum Schloss hochgekrabbelt sind. Zuerst habe ich es dem Alkohol zugeschrieben, bis mich meine Vermieterin aufgeklärt hat. Für Russe ist das eine Tradition. Hat man die Aufgabe erfolgreich absolviert, kann man sich einen Knoten in seine Russemütze machen.

Insgesamt bin ich ziemlich zwiegespalten was das alles angeht. Einerseits finde ich es cool und denke mir „Lasst sie feiern“, andererseits finde ich es als Lehrkraft doch etwas bedenklich, wenn das alles schon vor den Prüfungen stattfindet.